Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Felsgewölbe war nicht sehr groß, die Decke jedoch hoch genug, dass selbst der Bärengänger aufrecht stehen konnte. In Anbetracht des Unwetters, das draußen tobte, war dies ein willkommener Unterschlupf – wäre da nicht der beißende Geruch gewesen…
»Bah!«, machte Alphart und schnitt eine Grimasse.
»Was ist das?«, erkundigte sich Erwyn ahnungslos.
»Was du riechst, das ist der Tod«, sagte Mux mit düsterer Stimme. »Hier starb jemand in großer Not.«
Der Wildfänger nickte. »Es ist der Geruch der Verwesung. Ich frage mich, woher…«
»Der Gestank an diesem Ort kommt aus jener Ecke dort«, sagte Mux und deutete in eine Nische im Fels, in der offenbar eine Ansammlung morscher Äste lag. Erst, als Alphart genauer hinschaute, stellte er fest, dass es kein Holz war, sondern abgenagte Knochen, an denen noch Reste fauligen Fleisches hingen. Und noch etwas entdeckte der Wildfänger in der Nische – einen bleichen Schädel, den er packte und aus dem Knochenhaufen zog.
Die Stirnplatte war nach vorn gewölbt, und Hauer wie die eines Ebers ragten aus dem kantigen Unterkiefer, sodass auf den ersten Blick zu erkennen war, dass dies nicht der Schädel eines Menschen war…
»Ein Erl«, stellte Leffel fest. »Allmählich krieg ich einen Blick dafür.«
»Ein Tier muss den Unhold getötet und ihn aufgefressen haben«, vermutete Alphart. »An den Knochen sind Bissspuren zu erkennen.«
»Ein Tier? Wohl kaum.« Yvolar schüttelte den Kopf.
»Siehst du es nicht? Etwas hat den Erl am Kopf getroffen und ihm den Schädel zerschmettert. Ein Tier dürfte dazu wohl kaum in der Lage gewesen sein…«
»Wenn schon«, versetzte Alphart. »Wer immer den Erl getötet hat, ich bin ihm dankbar dafür. Einer weniger von diesen abscheulichen Unholden…«
»Dennoch fragt sich, wer es getan hat«, gab der Druide zu bedenken. »Viele dunkle Wesen hausen zwischen Allagáin und Dorgaskol. Das Eis hat auch sie aus ihren Schlupfwinkeln getrieben.«
»Wer auch immer, er ist nicht mehr hier«, war Alphart überzeugt. »Und selbst wenn, würde ich mich lieber mit ihm anlegen als mit dem Schneesturm draußen. Oder ist jemand anderer Ansicht?«
Mux hob mahnend einen Zeigefinger: »Kommt er zurück, dann musst du kämpfen. Denn wer einen Erl frisst, frisst auch Menschen.«
Daraufhin verzogen die Übrigen mürrisch die Gesichter. Deutlich war ihnen anzusehen, dass ihnen nicht wohl war bei dem Gedanken, die Nacht in der Höhle eines Erlfressers zu verbringen. Leffel schielte sehnsüchtig zum Ausgang, Walkar schnaubte unruhig, und nicht einmal Urys dem Zwerg schien diese Höhle übermäßig behaglich.
»Ich fürchte, unser wackerer Jägersmann hat dennoch recht«, pflichtete Yvolar dem Wildfänger schließlich bei. »Dort draußen in der Dunkelheit werden wir bei diesem Wetter jämmerlich erfrieren – nicht einmal mein Wärmezauber vermag uns davor zu schützen. Also werden wir bleiben.«
»Natürlich bleiben wir«, sagte Alphart.
Der Kobling zuckte mit den Schultern und sagte: »Ihr müsst es ja wissen. Doch kommt der Erlfresser zurück, werd ich mich ver…kriechen.«
50
Galfyn fand keinen Schlaf in dieser Nacht. Ruhelos wälzte er sich auf seinem kargen Lager hin und her, ehe er es nicht mehr aushielt und die mit Tierhäuten bespannte Hütte verließ, die seine Leute für ihn errichtet hatten.
Am östlichen Ufer des Flusses Allair hatten die Waldkrieger Stellung bezogen und ihr Lager aufgeschlagen. Iónadors Heer würde nicht nur den Fluss überqueren, sondern auch die verschneiten Hänge erklimmen müssen, die sich am Ostufer erhoben – aber natürlich wusste Galfyn, dass auch das keinen sicheren Sieg bedeutete.
Obwohl er sich vor seinen Leuten zuversichtlich gab und die Einwände des alten Herras nicht gelten lassen wollte, hatte Galfyn leise Zweifel. War es richtig gewesen, den Pfad des Krieges zu beschreiten? Rechtfertigte das Leid, das ihm zugefügt worden war, ein ganzes Volk in die Schlacht zu führen?
Galfyn versuchte die lästigen Gedanken abzuschütteln. Aber je näher die Stunde der Entscheidung rückte, desto weniger leicht ließen sie sich vertreiben.
Der junge Heerführer ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Von den Hütten und Zelten, die sich die Krieger als Unterschlupf errichtet hatten, war kaum etwas zu sehen – stattdessen erstreckte sich eine Landschaft aus kleinen Schneehügeln bis zum Rand des nahen Waldes, und nur an den Feuern, die hier und dort brannten, war zu erkennen,
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