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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Erwin war um einiges älter. Klein, schlank, gerade wie ein Stock, kaffeebraune Haut, ein blaues Gewand, das an ihr wie eine Rüstung wirkte. Der seitlich geschlitzte Rock offenbarte graue Beinkleider und weiche Stiefel, in denen sich die Frau bei Bedarf blitzschnell bewegen konnte.
    Die geflochtenen Haare saßen vertrackt aufgetürmt auf dem Kopf. Ihr Gesicht erregte Aufsehen. Sie hatte dunkle Augen, schwarze, scharfe, erbarmungslose Augen, die William jetzt mit unheimlicher Intensität ansahen. Als würde er von einem Raubvogel gemustert, kalt und mörderisch. Der Geruch der Frau stieg William in die Nase, ein Amalgam verschiedener Düfte: Brombeeren, Vetiver, Orangen, Rosmarin, Rosen. Ein aggressiver Duft. Sie hatte das Sagen, und jeder sollte darüber Bescheid wissen.
    Erwin war der Schlagmann; die Art, wie er neben der Frau stand, ließ daran keinen Zweifel. Der Mann trat als Leibwächter auf. Und da sie keine sichtbaren Waffen trug, warf er vermutlich mit Blitzen um sich. Jeder, der über Magie verfügte, konnte lernen, seine Macht zu Blitzen zu bündeln, zu einem konzentrierten Strom, der wie ein Lichtbogen aussah – und wenn der Blitz hell genug war, wirkte er auch genauso verheerend.
    William rührte sich, verlagerte kaum merklich sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und verkniff sich ein Lächeln, als Erwin sich straffte. Als Gestaltwandler konnte William keine Blitze schleudern, aber er hatte viele Jahre mit ausgezeichneten Blitzwerfern in einer Einheit gedient. Wenn Erwins Blitze blassblau oder weiß waren, hatte er es entweder mit einem Blaublütigen oder einem Ausnahmetalent wie Rose zu tun. Wenn er jedoch grüne oder gelbe Blitze schleuderte, stand er in der Nahrungskette nicht allzu weit oben.
    Je heißer Erwins Blitze ausfielen, desto höher der Rang der Frau neben ihm. Es brachte ja nichts, irgendeine Sesselfurzerin durch einen guten Blitzwerfer bewachen zu lassen.
    »Können Sie Blitze schleudern?«, wollte William wissen.
    Erwin schenkte ihm ein mildes Lächeln.
    »Er will wissen, mit wem er es zu tun hat«, sagte die Frau. »Ich erlaube dir, es ihm zu zeigen.«
    Erwin senkte den Kopf vor ihr und sah William an. »Nennt mir ein Ziel.«
    »Das Wespennest in der Eiche sechs Meter links von Ihnen. Im zweiten Ast von unten.«
    Er würde einen höllisch guten Schuss landen müssen, um das verfluchte Ding zu treffen. Declan würde das vermutlich hinkriegen, dabei aber den halben Baum mit in die Luft jagen.
    Erwin drehte sich um. »Ah.«
    Ein weißes Leuchten stieg in seine Augen. Winzige Ranken aus weißem Licht fuhren aus seiner rechten Hand, flackerten auf und vereinten sich zu einem Strom. Dann schoss ein leuchtend weißer Blitzstrahl von seiner Hand und zerschlug das Wespennest mit der Präzision eines Messers in zwei Hälften.
    Erwin war nicht bloß ein Blitzwerfer, sondern ein Scharfschütze. War ja klar.
    »Sie haben von Virai gehört«, sagte die Frau.
    Die meisten Roten Legionäre kannten Virai. Die Rote Legion führte Geheimoperationen durch; wenn der Spiegel Schlagkraft und schiere zahlenmäßige Überlegenheit benötigte, wandten sich die Agenten zuerst an die Rote Legion. Und Virai war das Oberhaupt des Spiegels, die Macht hinter der Agentur, deren Name nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde.
    »Klar.«
    Die Frau reckte ihr Kinn. »Ich bin Virai.«
    William blinzelte. » Die Virai?«
    »Ja. Aber wenn Sie mögen, können Sie mich auch Nancy nennen.«
    Nancy. Natürlich. »Warum haben Sie mir Bilder von toten Kindern gebracht?«
    »Weil Sie hier die letzten beiden Jahre sicher und behaglich gelebt haben. Wir mussten Sie daran erinnern, wer Sie sind.«
    Arrogante Hexe. William bleckte die Zähne zu einem gemächlichen, wölfischen Grinsen. »Ihr Gespiele, der Scharfschütze da, wird mich nicht aufhalten. Die Sorte ist mir schon untergekommen.« In Gedanken sprang William über seine Actionfiguren, traf Erwin, brach ihm beiläufig den Hals, rollte sich herum und …
    »Vielleicht«, sagte die Frau. »Aber werden Sie auch mit zweien fertig?«
    Ihre Augen funkelten weiß. Magie entfaltete sich zu einem leuchtenden Vorhang, blieb einen Atemzug lang bestehen und verging.
    Der imaginäre Angriff fiel in sich zusammen, während William in seiner Imagination von Nancys Blitz in zwei Hälften gespalten wurde. Damit hatten sie ihn. Mit einem überlegenen Blitzwerfer wurde er fertig, aber zwischen zweien würde er zu Hackfleisch verarbeitet werden, ehe er auch nur einen von beiden am

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