Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
hinein. Vielleicht hatte ja eine Bestie aus dem Weird die Grenze zum Edge überschritten. Da hatte es schon merkwürdigere Vorfälle gegeben. Gar nicht nötig, dass sie Rose davon erzählte, beschloss Éléonore. Das arme Kind war so schon paranoid genug.
    Rose nahm die letzte Biegung und blieb am Rand der Wiese stehen. Éléonore saß auf der Veranda und nippte an ihrem heißen Tee. Großmama hatte bereits vor einiger Zeit beschlossen, eine Art Heckenhexenlook zu kultivieren. Ihre grauen Haare waren zu einem wild wuchernden Durcheinander aufgetürmt und stellenweise mit Federn, Zweigen und Talismanen verziert. Für ihre Klamotten hätte sich jeder auf Dekonstruktion spezialisierte Modeschöpfer ordentlich ins Zeug legen müssen; die hatte sie nämlich so lange kunstvoll zerrissen und geflickt, bis sie an eine halb gerupfte Henne erinnerte, hinter der bei jeder Bewegung Stofffetzen und Lumpen herflatterten.
    Allerdings wurde die Authentizität ihres Aufzugs von dem Umstand beeinträchtigt, dass sowohl ihre Lumpen als auch ihre Haare äußerst reinlich waren und vage nach Lavendel dufteten, sowie von der ausgesprochen unpassenden Teetasse mit dem flauschigen grauen Kätzchen darauf.
    »War irgendwas mit den Jungs?«, erkundigte sich Rose und setzte sich neben sie.
    Großmama verdrehte die Augen. »Ich muss doch sehr bitten. Ich bin einhundertundsieben Jahre alt, da werde ich ja wohl noch mit zwei Rabauken klarkommen.«
    Die Magie erhielt die meisten Familien im Edge erheblich länger bei guter Gesundheit und am Leben als ihresgleichen im Broken. Daher sah Großmama keinen Tag älter als fünfundfünfzig aus. Ihr Alter stellte auch nicht das Problem dar, dachte Rose. Das Problem war, dass in dem Moment, in dem die Jungen sie mit ihrem Dackelblick ansahen, Regeln und Disziplin samt und sonders den Bach hinuntergingen.
    Hinter Großmama spielten die Jungen auf der Wiese Fangen; Jack, beweglich und schnell wie der Blitz, und Georgie, der einem blassen, goldblonden Schatten glich. Nur dass er heute noch blasser war als sonst. Einer der beiden verkörperte InuYasha, den halb dämonischen Jungen aus dem Manga, der andere spielte vermutlich Lord Sesshomaru, InuYashas älteren, komplett dämonischen Halbbruder. Aber wer wer war, vermochte sie von hier aus nicht zu erkennen.
    Rose bereute nicht, die Comics gekauft zu haben. Die Jungen hatten sich sofort darauf gestürzt, und jetzt beanspruchten die kostbaren Bände den Ehrenplatz auf dem obersten Regal in ihrem Schlafzimmer.
    Georgie geriet außer Atem, ließ sich im Gras nieder und sackte erschöpft nach vorne. Rose hörte ihn ächzen. Er sah aus, als würde er krank werden.
    Großmama schürzte die Lippen. »Was war es diesmal?«
    »Ein kleiner Vogel.« Er hatte ihn heute Morgen zurückgeholt, kurz bevor sie die beiden an der Schulbushaltestelle abgesetzt hatte.
    Georgie hustete und beugte sich übers Gras. Jack blieb unvermittelt stehen. Er sah Georgie lange mit leerem, verlorenem Gesichtsausdruck an, dann trottete er zu ihm und setzte sich neben ihn.
    »Wenn George nicht damit aufhört, wird es ihn noch das Leben kosten.« Großmama schüttelte den Kopf.
    Rose seufzte. Wann immer Georgie etwas wiederauferstehen ließ, opferte er, um Leben zu geben, ein wenig von seiner eigenen Lebenskraft. Je mehr seine Macht wuchs, desto schwächer wurde sein Körper, als sei sein Geist eine Kerze, die zu hell brannte und ihr Wachs zu schnell verzehrte. Sie hatten es mit allem versucht – mit Erklärungen, mit Reden, mit Drohungen, Bestrafungen und Bitten, aber nichts verfing bei ihm. Georgie hauchte Lebewesen, deren Hinscheiden ihn traurig machte, neues Leben ein, er wusste nicht, wie er loslassen sollte.
    »Was für ein Gespann«, seufzte Großmama. »Eine Katze mit Todessehnsucht und ihr Bruder, der am liebsten den halben Wald am Leben erhalten würde.« Ihre Stimme klang plötzlich ein bisschen brüchig. »Wie geht’s Cletus?«, fragte sie und bemühte sich dabei vergeblich um Gleichgültigkeit.
    »Wie immer«, antwortete Rose.
    Ein Schatten fiel über Großmamas Augen. Sie runzelte die Stirn und goss Rose eine Tasse Tee ein. »Die Jungs haben mir von diesem William erzählt. Was macht der denn so?«
    Verräter. »Er ist Fliesenleger.«
    »Fliegenfänger?« Großmamas Augenbrauen wanderten aufwärts.
    »Nein. Du weißt doch, was Dachdecker auf Dächern machen? Er macht dasselbe mit Fußböden.«
    »Bist du sicher, dass er kein Kinderschänder ist? Die machen das nämlich so;

Weitere Kostenlose Bücher