Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
nächsten Mal zu machen, ohne Kinder mit hineinzuziehen. Sie sind entlassen. Und schicken Sie George rein.«
Die Tür ging auf. George straffte sich.
Audrey kam heraus, mit riesengroßen Augen. »Ich habe noch nie eine so unheimliche Frau gesehen.«
»Du bist dran«, sagte Kaldar zu George.
Der stand auf und trat durch die Tür.
Nancy Virai saß hinter dem Schreibtisch. Ihre Augen glichen denen eines Raubvogels: Als sie ihn musterte, sah er tödliche, auf sein Herz zielende Krallen vor seinem geistigen Auge.
Leise schloss George die Tür, näherte sich dem Schreibtisch und blieb mit an den Seiten herabhängenden Armen stehen.
»Setz dich.«
Er nahm auf dem Stuhl Platz.
»Die Leute, die für mich arbeiten, sind ausgebildete Killer. Hin und wieder mache ich für jemanden mit einer Spezialbegabung eine Ausnahme. Etwa für Audrey. Unsere Branche ist nichts für empfindsame Seelen.«
»Ich kann ein Killer sein«, erklärte er.
»Aber das würde nicht deiner Natur entsprechen.«
»Aber ich will es«, erklärte er.
Lady Virai beugte sich vor. »Warum?«
»Weil ich glaube, dass jemand das Land vor der Hand schützen muss. Und das könnte ebenso gut ich sein.«
»Sehr redegewandt. Versuch’s noch mal.«
George öffnete den Mund, dann kam die hässliche Wahrheit zum Vorschein. »Weil ich es satthabe, ständig als Bürger zweiter Klasse gesehen zu werden. Ich würde lieber für Sie arbeiten und der beste Agent werden, den Sie jemals hatten, als einen aussichtslosen Kampf um die Anerkennung von Menschen zu führen, die sowieso immer nur den Edger in mir sehen.«
Einen Moment lang blickte sie ihn nachdenklich an, dann schob sie ihm über den Schreibtisch ein Blatt Papier hin. »Das sind deine Lernziele für dieses Schuljahr. Du wirst ab jetzt jedes Jahr einen solchen Lehrplan erhalten. Wenn du die Ziele verfehlst, ist unsere Beziehung Geschichte.«
George prüfte die Liste. Mehrere Fächer, dazu Prüfungen und erforderliche Punktzahlen. Tests in Nekromantie.
»Im Sommer gehörst du mir.« Lady Virai lehnte sich zurück. »Wenn du einverstanden bist, ist deine Kindheit vorbei. Abgemacht?«
Er zögerte keine Sekunde. »Abgemacht.«
»Dann geh jetzt.«
George erhob sich. An der Tür blieb er stehen. »Und was ist mit meinem Bruder?«
»Alles zu seiner Zeit«, antwortete Lady Virai. »Keine Sorge. Dem Königreich werden die Feinde schon nicht ausgehen, bis ihr zwei erwachsen seid.«
Die Luft roch nach reifen Trauben. Die Sonne wärmte Spiders Hände und Gesicht. Er kehrte den Kopf dem Himmel zu, rollte den Rollstuhl vor das Steingeländer des Balkons. Es gefiel ihm hier. Unter ihm zogen sich endlose Reihen Weinstöcke die grünen Hügel entlang. Früher war er dort spazieren gegangen.
Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
Hinter ihm hallten ungleichmäßige Schritte. Jemand hinkte.
Spider drehte sich um.
Helena trat ins Sonnenlicht heraus, sie zog ihren linken Fuß nach. Ihr Hals war größtenteils von einem Bluterguss verunziert, ihr wunderschönes Haar war ein blutig verkrustetes Durcheinander.
Sein Herz zog sich zusammen. Er erinnerte sich noch an sie, als sie ein kleines, ernsthaftes Kind gewesen war. Sie hatte so selten gelacht, dass ihm jedes Glucksen wie ein Geschenk vorgekommen war.
»Wie übel bist du denn zugerichtet?«, erkundigte er sich.
»Das wird wieder.«
Sie kniete sich neben seinen Rollstuhl. Ihre Augen glänzten. »Ich habe ein Geschenk für dich, Onkel.«
Hinter ihr trat nun Sebastian ins Licht und stellte eine Stahlkiste auf dem Boden ab. Helena hob den Deckel. Im Innern befanden sich auf Eis liegende Blutbeutel.
»Das Blut von Kaldar Mar«, sagte Helena. »Es tut mir leid. Mehr konnte ich nicht bekommen.« Sie senkte den Kopf.
Er tätschelte ihr Haar. »Danke. Danke, mein Kind.«
Ich werde wieder über die Hügel spazieren. Zwischen ihnen hindurchlaufen. Und dann begleiche ich meine Schulden .
Das Haus stand auf einer grünen Wiese neben einem wunderschönen See. Es sah fantastisch aus. Audrey lächelte.
Kaldar drückte sie, sie lehnte sich gegen ihn. »Das ist es also?«
»Mhm, ich hab’s zum Schnäppchenpreis gekauft. Der Auftraggeber, ein Händler, hat im letzten Moment einen Rückzieher gemacht und den Bauherrn auf den Kosten sitzen lassen.«
Er hob sie hoch und ging mit ihr ums Haus. Er fühlte sich immer noch schwach und schwankte ein wenig, als er sie über die Schwelle trug, doch sie beschwerte sich nicht. Dazu war dieser Schritt zu wichtig.
Drinnen setzte Kaldar
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