Land der wilden Sehnsucht
Gesicht und fiel ihr weit über den Rücken. Haar- und Gesichtsfarbe waren vollendet wiedergegeben. Sie saß in einem Lehnstuhl, eindeutig französischer Herkunft, dessen gemusterter Seidenbezug die Wirkung noch erhöhte. Ein bloßer Arm von ihr ruhte auf der Armlehne, während ihre schlanke Hand den vergoldeten Holzknauf umfasste. Sie trug ein langes, trägerloses Kleid in einem zarten Goldton und dazu eine Halskette und mit Citrinen und Diamanten besetzte Ohrringe. Der in Gold gefasste Anhänger lenkte den Blick auf ihre festen Brüste.
„Das Bild ist unverkäuflich“, erklärte Sienna. „Mein Vater will sich nicht davon trennen.“
„Das kann ich ihm nicht verdenken.“
Sienna errötete. „Er hängt es trotzdem in jede neue Ausstellung … sozusagen als Glücksbringer. Es wurde kurz vor meinem einundzwanzigsten Geburtstag gemalt. Der Schmuck war ein Geschenk meiner Eltern zu diesem besonderen Tag. Die wahre Schönheit in unserer Familie ist allerdings meine Mutter.“ Sie lachte etwas verlegen. „Dad wollte mir mit dem Porträt offensichtlich schmeicheln.“
Blaine spürte, dass sie es nicht sagte, um ein Kompliment zu erhalten.
„Da bin ich anderer Ansicht“, widersprach er und blickte weiterhin wie gebannt auf das Gemälde. „Hatten Sie inzwischen Gelegenheit, mit Amanda zu sprechen?“
„Ja.“
„Und?“
Amanda schien auf dieses Stichwort gewartet zu haben, um auf der Bildfläche zu erscheinen. Sie war nicht wiederzuerkennen. Das Häufchen Elend hatte sich in eine hübsche junge Frau verwandelt, die geschickt mit Make-up alle Tränenspuren überdeckt hatte, und ihre blauen Augen strahlten so, als hätte sie Belladonna hineingeträufelt.
„Endlich lernen wir uns kennen!“, rief sie und ging mit ausgestreckten Armen auf Blaine zu.
Oscarreif, dachte Sienna, die eine solche spektakuläre Verwandlung schon öfter miterlebt hatte. Absolut perfekt.
„Amanda!“ Blaine nahm ihre zierliche rechte Hand. „Wir hoffen, dass du zu uns nach Australien kommst. Du gehörst doch zu unserer Familie.“
„O ja, gewiss.“ Sie seufzte effektvoll und fuhr fort: „Sienna hat mich auch schon darum gebeten.“
„Es würde mich sehr freuen, wenn du dich dazu entschließen könntest.“ Blaines Ton verriet Sienna, dass er keinen positiven Eindruck von seiner verwitweten Schwägerin hatte. „Wir müssen nur noch das Reisedatum festlegen.“
Amanda lächelte gewinnend. „Ich kann allerdings nicht von heute auf morgen packen, Blaine.“
„Mach dir nur deswegen keine Gedanken. Wir werden alles besorgen, was du brauchst. Es kommt dann eben einen Tag später mit dem Flugzeug.“
Sie lächelte strahlend. „Sienna wird mir sicher auch helfen. Bist du mit Mittwoch einverstanden?“
Blaine nickte. „Dann kann ich alle nötigen Vorbereitungen treffen.“ Er wandte sich an Sienna, die bis jetzt geschwiegen hatte. „Ich hoffe, das passt Ihnen auch?“
„Keine Sorge“, antwortete Amanda an ihrer Stelle. „Sienna kann tun und lassen, was sie will.“
„Das stimmt nicht, Mandy“, widersprach ihre Cousine scharf.
„O doch.“ Amanda kicherte, als hätte Sienna einen Witz gemacht. „Es ist schon so.“
Sienna legte ihr warnend eine Hand auf den Arm. Offenbar hatte sie vergessen, dass sie die trauernde Witwe spielen sollte. „Sagen Sie uns einfach, was wir zu tun haben, Blaine.“
„Ich rufe Sie an, wenn alles geregelt ist“, antwortete er.
„Wir hätten viel früher Freunde werden sollen!“, rief Amanda. Es klang, als würde sie aus Kummer über das Versäumte jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Es tut mir so leid …“ Die Stimme versagte ihr.
„Es ist noch früh genug, um das nachzuholen“, versicherte Blaine.
Wie freundlich das klingt, dachte Sienna, sich wohl bewusst, dass er die Komödie durchschaute.
„Ich werde meiner Stiefmutter gleich Bescheid geben“, fuhr er fort. „Sie wird erleichtert sein, wenn sie hört, dass du mitkommst, Amanda“, meinte er, verabschiedete sich und verließ die Galerie.
„Was für ein Mann!“, meinte Amanda enthusiastisch. Sie lief zurück ins Büro und warf sich in einen Sessel. „Ich fand Mark schon gut aussehend, aber Blaine … Er scheint ein wahrer Herzensbrecher zu sein!“
„In der Tat“, meinte Sienna lakonisch. Sie empfand es für eine junge Witwe wie Amanda als unpassend, sich zu diesem Zeitpunkt für einen anderen Mann zu begeistern. Eben noch von Schmerz zu Boden gedrückt, benahm sich Amanda jetzt, als hätte sie ein neues Idol
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