Land des Todes
hätte. Letztlich beugte er sich widerwillig meinem Wunsch und ertastete sich den Weg zurück nach unten.
Ich vergewisserte mich, dass sich der Silberring, den mir der Zauberer gegeben hatte, sicher an meinem Finger befand, und wünschte, ich hätte die Ampulle nicht zurückgelassen, als ich an jenem Vormittag aufbrach. Ich stellte die Kerze auf dem Waschtisch ab, suchte meine Streichhölzer und legte sie daneben – ich fühlte mich in diesem Haus alles andere als sicher, und ich wollte nicht ohne Licht dastehen, sollte sich etwas Seltsames ereignen. Besorgt überprüfte ich die nach wie vor stark schmerzenden Wunden an meiner Wade auf Anzeichen einer Infektion, doch angesichts der spärlichen Beleuchtungkonnte ich nichts erkennen: Ich würde warten müssen, bis ich morgen einen Arzt aufsuchen konnte. Schließlich kroch ich angekleidet ins Bett, deckte mich mit meinem Mantel zu, um mich zu wärmen, blies die Kerze aus und dachte wehmütig an meine behagliche Federmatratze im Roten Haus. Aber wenigstens war ich allein.
IV
Obwohl ich so sehr fror, dass sich meine Füße wie Eisblöcke anfühlten, und das Bett hart und klumpig war, schlief ich, erschöpft von den Ereignissen des Tages, rasch ein.
Ich versank in eine Nacht der Träume – den wohl lebhaftesten und schrecklichsten, die ich je hatte. Ich wandelte durch eine Gegend, die stark an jene erinnerte, durch die ich früher an jenem Tage gegangen war – eine Landschaft noch welk vom Winter. Doch etwas an der Perspektive stimmte nicht: Dinge, die nah hätten sein sollen, schienen sich sehr weit weg zu befinden, und Dinge in der Ferne, beispielsweise die Berge, wirkten bedrückend nah. Der Himmel wies die violette Färbung eines Blutergusses auf. Rings um mich erstreckten sich Gräber, so weit das Auge reichte, Reihen um Reihen, einige durch Kreuze gekennzeichnet, andere durch Steinhaufen.
Ich schien stundenlang gelaufen zu sein, ohne eine Menschenseele gesehen zu haben, und je weiter ich ging, desto beunruhigter wurde ich. Ich suchte nach etwas, wenngleich ich nicht wusste, wonach – etwas, das mir lieb war, dessen Verlust mich schmerzlich betrübte. Je weiter ich ging, desto weiter entfernte ich mich von der Möglichkeit, es zu finden, und doch wusste ich, dass ich nicht umkehren konnte. Das Herz wurde mir schwer und schwerer.
Schließlich erblickte ich in der Ferne eine Gestalt, die aufmich zukam. Aus purer Erleichterung begann ich zu rennen: Dann jedoch erkannte ich, dass es sich um Kush handelte. Als er mich sah, grinste er höhnisch, die Parodie eines Grußes, und hob die Hände. Von einer baumelte ein Lederbeutel, von dem ich mit der Hellsichtigkeit des Träumers wusste, dass er voller Goldstücke war; die andere Hand erwies sich als leer. Doch in der Mitte der Handfläche prangte eine Wunde, aus der sich ein steter Blutstrom ergoss. Das Blut floss zu Boden und bildete eine schwarze Lache, in der sich mein Gesicht spiegelte.
Bei dem Anblick überwältigten mich Abscheu und Grauen. Kush begann, gackernd zu lachen, und er bewegte sich näher auf mich zu. Ich konnte seinen Atem riechen, der nach Verwesung stank. Ich wollte die Flucht ergreifen, doch von nackter Angst gelähmt konnte ich mich nicht rühren, und er streckte die blutende Hand aus, um mein Gesicht anzufassen. Kurz, bevor mich seine Finger berührten, erwachte ich.
Mit zitternden Händen zündete ich die Kerze an und sah mich in der Kammer um. Obwohl eine solche Kälte herrschte, dass mein Atem Wolken bildete, die vor meinem Gesicht schwebten, war ich schweißgebadet. Ich holte mehrmals tief Luft und schalt mich für meine Torheit: Nach dem Tag, den ich hinter mir hatte, war es kein Wunder, dass mich Albträume plagten, und wahrscheinlich fieberte ich zudem, vielleicht wegen der Bisse des Hundes oder weil ich mir eine Erkältung zugezogen hatte.
Ich sagte mir, dass die schreckliche Lebhaftigkeit des Traumes ein Widerhall meiner durchlebten Gefühle an jenem Abend sein musste. Hinter jenem hastig verstauten Beutel hatte ich eine dunkle Geschichte gewittert, die mein träumender Geist in tödliche Omen umgewandelt hatte. So tröstete ich mich und bemerkte, dass der Sturm inzwischen nicht mehr so heftig tobte; ich musste einige Zeit geschlafen haben. Nur noch wenige Stunden, dann würde ich diesen Ort verlassen können. Ich legte mich hin und schlief abermals rasch ein.
Diesmal träumte ich, dass ich mich in dem Raum befand, in dem ich gerade schlief. Ich stand zwischen dem Bett und dem
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