Land des Todes
Verlangen loderte, ein unersättlicher, rücksichtsloser Hunger, und sie starrten teilnahmslos in die meinen.
In jenen ersten Momenten wusste ich nicht, ob ich eher von Verlangen oder von Grauen beseelt war. Jenes wilde, wunderschöne Antlitz hatte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich hatte Frauen gesehen, die schöner waren – hatte sogar einige umarmt –, doch noch nie hatte ich ein Gesicht gesehen, das so leidenschaftlich und dennoch, trotz seiner völligen Hemmungslosigkeit, so gänzlich eigen war.
Dann war mir, als bündle sich etwas in diesem fesselnden Blick, und ich erkannte, dass die Erscheinung im Spiegel mich nun ebenfalls sehen konnte. Ihr Ausdruck schlug mit verblüffender Plötzlichkeit um: Nun blitzten jene außergewöhnlichen Augen vor Zorn. Ich war nicht, was die Frau zu sehen gehofft hatte, wonach sie sich sehnte; und ich gestehe, dass ich trotz meiner Furcht einen leichten Anflug von Enttäuschung verspürte. Ihr Blick verhakte sich mit dem meinen, und ich sah, dass sie sprach, obschon ich nicht hören konnte, was sie sagte. Unwillkürlich riss ich in einer Geste der Hilflosigkeit eine Hand hoch. Als ich das tat, schrak sie zurück. Beinah hörte ich sie zischen, als durchzuckte sie ein Schmerz. Mir wurde klar, dass sie den Ring an meinem Finger erblickt haben musste. Da versuchte ich mich abzuwenden und zu flüchten, stellte jedoch fest, dass ich meine Beine nicht bewegen konnte. Meine Füße weigerten sich, mir zu gehorchen; obvor blankem Grauen oder durch Hexerei vermochte ich nicht zu sagen.
Gleich darauf befand sie sich wieder dicht an der Oberfläche des Spiegels, als handelte es sich um ein Glasfenster, das sie von mir trennte, und sie begann, heftig mit den Händen dagegenzuhämmern. Ich schrie auf, brüllte sie an, sie solle mich in Ruhe lassen, und schlug blindlings auf den Spiegel ein. Er explodierte unter einem Schauer von Glasscherben, von denen mir einige das Gesicht und die Hände zerschnitten. Doch es kümmerte mich nicht – plötzlich konnte ich mich wieder bewegen. Ich rannte aus der Kammer, warf die Tür zu, lehnte mich auf dem dunklen Flur dagegen und versuchte keuchend zu Atem zu gelangen.
Mein Gastgeber, den meine Schreie vermutlich geweckt hatten, so er nicht bereits wach gewesen war – falls in diesem Höllenhaus überhaupt jemand schlafen konnte –, kam in Hemd und Hose den Gang heruntergerannt. Als er mich an der Tür stehen sah, verfinsterten sich seine Züge vor Wut. Allerdings war ich in jenem Augenblick dermaßen außer mir, ich schwöre, selbst der Teufel höchstpersönlich hätte mich nicht weiter zu verängstigen vermocht.
»Was haben Sie in diesem Zimmer gemacht?«
Die völlig unverhoffte Frage verdutzte mich. »Sie Lump!«, gab ich fuchsteufelswild zurück. »Sie haben mich doch darin untergebracht!«
»Nicht ich«, widersprach er. »Nicht ich. Niemand betritt dieses Zimmer.«
»Dann eben Ihr verlauster Diener«, sagte ich und hielt mir die blutige Hand dicht an die Brust. »Ich hätte für eine Million Goldstücke nicht darin schlafen wollen. Ich gehe jetzt nach Hause, wo mir dieses Höllenluder nichts anhaben kann. Und wenn ich dorthin kriechen muss …«
Damit stolperte ich die Stufen hinab, war die Treppe jedoch nicht einmal halb hinabgestiegen, bevor mich Damek einholte, an der Schulter packte und zu sich herumdrehte.»Welches Höllenluder?«, verlangte er knurrend zu erfahren. »Wovon reden Sie?«
Ich versuchte, mich seinem Griff zu entwinden. »Ein feiner Zug, mich in einem verwunschenen Zimmer einzuquartieren!«, brüllte ich. »Ich sage Ihnen, Sie sind der Teufel höchstpersönlich, und dieses Weib …«
»Wer?«, unterbrach er mich mit beträchtlicher Eindringlichkeit. »Welches Weib?«
»Die ruchlose Hexe im Spiegel« Ich schaute auf und begegnete seinem Blick. Seine Augen funkelten so ausdrucksstark wie die der Frau im Spiegel, wenngleich ich nicht einzuschätzen vermochte, ob vor Sehnsucht, Verzweiflung, Wut oder Gram. Wortlos, jäh verstummt, starrten wir einander einige Sekunden lang an.
»Sagen Sie mir …«, begann er, wobei sich seine Brust heftig hob und senkte. »Sagen Sie mir, was Sie meinen.«
Mit einem Mal bemitleidete ich ihn, und ich erkannte, dass ich mich nicht mehr fürchtete, obwohl ich nach wie vor am ganzen Leib Schmerzen verspürte.
»Ich habe in dem Spiegel eine Frau gesehen«, erklärte ich. »Eine Hexe, mein Herr! Sie hat versucht, mich zu verzaubern oder aus dem Spiegel zu gelangen
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