Land des Todes
Schrank auf dem Boden. Das graue Licht der Morgendämmerung fiel durch das dreckige Fenster und versah jeden Gegenstand in der Kammer mit einem matten Schein. Ich wusste, dass die Tür versperrt war und ich nicht hinauskonnte. Aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen konnte, erfüllte mich wachsende Besorgnis, die zu Panik anschwoll – ich wusste, später an jenem Tag sollte sich etwas Schreckliches ereignen, wenngleich ich mich nicht entsinnen konnte, was.
Dann befand ich mich – unlogisch, wie Träume es nun mal sind – zu Hause in meinem Arbeitszimmer in der Stadt. Mit einem tiefempfundenen Gefühl der Erleichterung setzte ich mich an meinen Schreibtisch, ergriff meinen Füllfederhalter – einen neuen, den ich kurz nach meinem Aufbruch gen Norden erstanden hatte – und begann, ein Gedicht niederzuschreiben, das mir unverhofft in den Sinn kam. Allerdings wies die Tinte eine merkwürdige Farbe auf und gerann ständig. Ungeduldig klopfte ich auf den Füller und versuchte erneut zu schreiben, doch da ergoss sich ein Schwall Tinte über die Seite, und ich erkannte, dass es sich nicht um Tinte handelte … sondern um Blut. Als ich auf das besudelte Papier starrte, begann das Blut, auf unmögliche Weise aus der Schreibspitze zu fließen, ein anschwellender Strom, der sich zu einer roten Pfütze sammelte und auf den Boden troff. Das Geräusch des stetigen Tropfens war, daran erinnere ich mich, besonders grässlich. Ich hob die Hand vor die Augen und stellte fest, dass sie voll Blut war; dann erkannte ich, dass es sich um mein Blut handelte und dass ich verblutete.
Wieder erwachte ich schweißüberströmt und mit zitternden Gliedern. Einen entsetzlichen Augenblick lang wähnte ich mich zurück in dem Albtraum: Fahles Dämmerungslicht fiel durch die Läden und verlieh der Kammer dasselbe gespenstische Leuchten, das sie in meinem Traum besessen hatte. Es war sehr still – eine Stille, die ich als unheilvoll empfand, bisich bemerkte, dass sie deshalb herrschte, weil sich der Sturm gelegt hatte.
Ich schwang die Beine über die Bettkante und saß mit dem Gesicht in den Händen da, bis ich zu zittern aufhörte. Ich fühle mich außerstande, das spezielle Grauen zu vermitteln, das diese Träume in mir auslösten. Mein gesamter Körper war völlig durchfroren, die Haare am Kopf und im Nacken richteten sich auf, und Übelkeit machte sich in meinem Magen breit. Dieses Haus , dachte ich, ist mit mehr als der schieren Unfreundlichkeit seiner Bewohner verseucht. Hier ist üble Zauberei im Spiel. Ich überprüfte, ob sich mein Schutzring noch an meinem Finger befand; dem war so. Schaudernd fragte ich mich, was hätte geschehen können, wenn ich mich nicht auf diese Weise geschützt hätte.
Mein einziger Gedanke drehte sich darum, diesen Ort so bald wie möglich zu verlassen. Ich hatte mehr als genug von diesem Haus. Möglicherweise hatte ich vom gesamten Norden genug und hätte in die Stadt zurückkehren sollen … doch selbst da hielt mich das Bild von Grosz’ spöttischer Miene noch davon ab, eine schmachvolle Rückkehr in Erwägung zu ziehen.
Träge wie ein Greis stand ich auf – mein gesamter Körper schmerzte, als hätte ich Schüttelfrost, und die Bisswunden in meiner Wade fühlten sich an jenem Morgen wunder an als in der Nacht davor. Ich streifte meinen Mantel über, dann beugte ich mich dem Spiegel am Waschtisch zu, um meinen zweifellos beklagenswerten Zustand zu begutachten. Und ich wurde abermals in einen Albtraum gestürzt, denn es war nicht mein Gesicht, das mir entgegenblickte.
Es handelte sich um das Antlitz einer vielleicht zwanzigjährigen Frau. Sie wies eine starke Ähnlichkeit mit Lina auf, war jedoch von weniger herkömmlicher Schönheit. Dieselben dichten, schwarzen Locken hingen ihr ins Gesicht, und sie hatte dieselben hohen, fein geschnittenen Wangenknochen, aber das Gesicht war schmaler, asymmetrischer, irgendwiewilder. Im Spiegel konnte ich sehen, dass sie ein Nachtgewand trug, das unzüchtig über eine der Schultern gerutscht war und eine ihrer Brüste fast gänzlich entblößte. Ihr Mund war sinnlich und übernatürlich rot, die Farbe von Blut; allerdings drückte er eine Eigenwilligkeit aus, die seiner unverhohlenen Lüsternheit eine zusätzliche, fesselnde Note verlieh. Abgesehen von den Lippen war ihre Haut totenbleich. Aber es waren ihre Augen, die meine geballte Aufmerksamkeit in ihren Bann schlugen. Es handelte sich um die violetten Augen einer Hexe, in denen ein unstillbares
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