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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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stößt bei besonders steilen Stellen erst beidseitig ab, probiert es dann mit großen Schritten, bis er den Schweiß spürt, der sich aus den Poren presst, der Schweiß, der juckt unter der klammen Kleidung, und bis Fahren anstrengender wird als Gehen. Das Hinterrad dreht durch, Kies spritzt, das Mofa kippt zur Seite weg. Moritz lässt es tun, was es will, springt ab. Er steht kurz neben dem Scheißgefährt, das so auf der Flanke liegend wieder tuckert, als sei alles in Ordnung.
    Er würgt den Motor ab, geht zu Fuß weiter.
    Noch ist er nicht weit gekommen auf seiner Rettungsmission. Tag ist es geworden unterdessen, als weiße Scheibe sieht man die Sonne hinter dem Hochnebel. Moritz’ Schritte sind schwer, wie lange ist er nun schon wach, er kann nicht mehr, mag nicht mehr, geht weiter. Seine Haut fühlt sich klebrig an, im Gehen bindet er sich die Jacke um die Hüfte. Obwohl er schwitzt, ist ihm nun wieder kalt, er verwirft den Gedanken, die Jacke erneut anzuziehen, stolpert weiter, immer den Weg hoch, immer weiter.
    Moritz geht, Moritz denkt wieder an Dorfjugend„frisuren. Er weiß nicht, warum er diesen blöden Gedanken nicht loswird, er ist wie ein Ohrwurm, ein Gedankenwurm, ein Wurm, der sich in sein Hirn frisst, alles wegfrisst, der ihm ins Hirn scheißt, Scheißfrisuren, seine Söhne sollen bloß nicht mit solchen Frisuren ankommen.
    Dorfjungenfrisuren, Dorfjugend, Scheißdorf, das seinen Sohn und das ihn zu Schlägern macht. Und dann auf einmal die Angst, Fabian könnte ganz woanders sein, könnte es nicht geschafft haben bis zur Alp, könnte irgendwo vom Weg abgekommen sein, könnte irgendwo mit verrenkten Gliedern am Fuße eines Abgrunds liegen. Und zur Angst um Fabian kommt zum ersten Mal die Angst um das alles hier, das Leben hier. Nie hatte Moritz bisher das Gefühl, dass es auf dem Spiel stünde, und nun gehört alles, was er sich aufgebaut und ausgemalt hat, offenbar schon wieder der Vergangenheit an. Also wieder vorne anfangen. Hatte er dieses Gerücht in die Welt gesetzt, dass man das könne? Vorne anfangen, was für ein Blödsinn! Weitermachen, man kann immer nur weitermachen. An einem neuen Ort an Altes anknüpfen. Oder ignorieren, dass das Spiel längst verloren und vorbei ist, und weiterspielen, bis man gewonnen oder der Gegner aufgegeben hat. Weitergehen. Der Weg unter den Füßen, Kies, der unter ihm vorbeizieht. Es gibt keinen Reset-Knopf. Scheißidee, das alles ein Spiel zu nennen!
    Das Zittern, das er in sich spürt, es muss von der Kälte kommen. Dass die Augen brennen, muss am Schweiß liegen, der ihm übers Gesicht rinnt. Tropfen bleiben an seiner Nase hängen, fühlen sich an wie Rotz.
    Wie ein Schuljunge tonlos heulend läuft Moritz, läuft davon, läuft den Berg hoch, läuft.
    In seinem Kopf ein Brummen. Ein Brummen, das lauter wird. Ein Brummen, das zum Motorengeräusch wird. Ein lauter werdendes Motorengeräusch. Dann scharfes Bremsen dicht hinter Moritz. Erst da dreht er sich um.
    Hinter ihm hält der Jeep des Försters.
    Der Förster lehnt sich über den Beifahrersitz, öffnet die Tür. Moritz wischt sich den Rotz von der Nase, nimmt das Angebot an, steigt ein. Der Förster nickt ihm bloß zu, Moritz versucht etwas zu murmeln wie »Heuschnupfen«, der Förster startet wortlos und gleichzeitig den Motor. Er gibt vorsichtig Gas, kennt sich aus mit steilen Schotterstraßen, so tieftourig wie möglich fährt er an. Moritz starrt aus dem Fenster, der Weg ist noch schmaler, als es das gestrige Dunkel vermuten ließ. Links Bäume, rechts der Abhang. Sie fahren schweigend. Der Förster konzentriert sich auf die Fahrbahn, wäre wohl auch sonst nicht ein Mann der großen Worte. Sie nehmen Kurve um Kurve, Moritz will nach dem Försterssohn fragen, bleibt dann aber stumm, starrt weiter vor sich hin. Er versucht sich an gestern zu erinnern, ob es noch weit ist bis zum Felsbrocken, möchte wieder aus dieser Enge raus, will nicht, dass ausgerechnet der Förster ihn so sieht.
    Sie fahren, sie schweigen.
    Der Jeep holpert über Unebenheiten, taucht ein in den kurzen Waldabschnitt. Der Förster tut, als beachte er seinen Beifahrer nicht, schaut auf die Straße.
    Dann sagt er, als sei man schon längst in ein Gespräch und nicht in Schweigen vertieft: »Das Leben kann manchmal ein ziemliches Arschloch sein, was?«
    Die letzten Bäume, nun die enge Kurve, »Vorsicht«, murmelt Moritz, der Förster verlangsamt, rollt auf den Felsbrocken zu, der hier den Weg versperrt.
    *
    Das Erste, was Fabian

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