Land Spielen
diese, obwohl sie länger da ist, obwohl sie die Frau des Försters ist. Den Försterssohn sahen alle heranwachsen, man fuhr ihm übers kräftige, dunkle Haar, bis er groß genug war, um sich dagegen zu wehren. Wir bewunderten ihn schon am ersten Schultag, er hat den sehnigen Körper des Vaters, ist braungebrannt wie alle Kinder im Dorf, aber wo bei uns Sommersprossen sprießen oder rote Sonnenflecken, schimmert seine Haut grünlich-braun bis zum Haaransatz. Wir betrachten seinen Nacken, sitzen eine Schulbank hinter ihm, Zweitklässlerin Ada will dichten lernen, um Oden verfassen zu können auf diesen Fünftklässlernacken, auf diese Schultern, auf die Arme, die schlank und dennoch muskulös sind. Der Försterssohn ist stark, wir durften seine Oberarme drücken, er hält uns regelmäßig im Schwitzkasten, selbst sein Schweiß riecht angenehm.
Wir versuchen uns auf das Winden aus dem Klammergriff zu konzentrieren, können nicht umhin, seine Technik zu bewundern, seine anmutigen Bewegungen, wenn er uns hin- und herschleudert. Die Dorfschule steht am Hang, Hinunterstoßen ist ein beliebter Sport. Keiner führt ihn so formvollendet aus wie der Sohn des Försters: Gerade hielt er uns noch umklammert, gerade ließ er unsere Beine noch abwechselnd nach links und nach rechts ausschlagen, gerade stockte uns noch der Atem, und schon liegen wir ihm zu Füßen. Der folgende Fußtritt ist theatralisch inszeniert, der Turnschuh bremst kurz vor unserem Körper, hat nicht vor, uns zu verletzen, will bloß Anschub leisten, sucht und findet unseren Schwerpunkt, der Försterjunge macht ein Geräusch wie aus einer Sprechblase, wir werden in Bewegung versetzt, rollen ein paar Meter hangabwärts. Wir bleiben kurz liegen, denn Zufrühaufsteher werden oben gleich von mehreren erwartet, das Gefolge des Försterssohns verwehrt den Aufstieg, versucht uns erneut und mit groben, ungelenken Stößen hinunterzuschubsen. Kein anderer dosiert so ausgewogen wie der Chef.
Der Sohn des Försters ist der Held des Pausenhofs, zwischen Pausenglocken gibt er den Ton an. Wer so aussieht wie er, muss Anführer werden, andernfalls landete er wohl mit uns am unteren Ende des Hangs. Der Sohn des Försters hat die Lektionen schnell gelernt, sie besagen, dass man dazugehören muss, um dazuzugehören, dass man mutiger sein muss als die anderen und dass der Trick darin besteht, als Erstes weniger Mutige zu Mutproben herauszufordern: Selbst braucht man dann keine Würmer zu essen, nicht das Lehrerauto zu zerkratzen, es reicht, wenn man die verspottet, die Würmer und Schelte meiden.
Weil der Sohn des Försters der Schönste der Schule ist, verehren und fürchten wir ihn gleichermaßen. Wir wissen, dass seine Anerkennung reichte, um aufgenommen zu werden, ahnen, dass er ein anderer Mensch ist, wenn er gerade nicht den Pausenhof regieren muss. Er steht eines Tages vor unserer Tür, steht da lange, steht reglos, sucht wohl nach der Klingel. Bevor er sich entscheiden kann zu klopfen, sagt drinnen einer von uns, da stehe einer draußen. Ada darf Türöffnerin sein, der Junge ihrer Träume steht vor ihr, sie schaut auf seine Turnschuhe, schaut kurz hoch in seine dunklen Augen, schaut dann wieder auf seine Turnschuhe, schaut auf seine Knöchel, schaut auf seine Knie, traut sich nicht, den Blick weiter zu heben. Wortlos steht sie vor dem schweigenden Schönen, auch er ist wohl unsicher, weiß wohl nicht, was er mit unserer Kleinsten bereden soll, scheint auf Größere zu warten, scheint froh zu sein, als Ältere von uns aus der Küche rufen, er solle doch hereinkommen.
Unser schönster Feind steht in der Küche, er will etwas verkaufen: Klebebildchen für einen guten Zweck. Normalerweise spenden wir für Drittweltländer oder für aussterbende Tierarten, aber auch Bergbauern erscheinen uns unterstützenswert. Die Aufkleber kosten nicht viel, also lassen wir uns zeigen, was der Försterjunge zu bieten hat, umringen ihn, zeigen auf die Bilder, die Wildheuer zeigen, die wie wir aussehen.
Den Jüngeren von uns ist der Besuch unangenehm, wir denken an Schläge, an Würgegriffe, an Spottchöre, haben heute noch mehr Angst, denn heute sind wir in der Überzahl. Reagieren reicht heute nicht. Unser Feind weiß sich zu verstellen, er tut beinahe schüchtern, wir wissen nichts mit ihm anzufangen, müssen nett sein, denn erstens ist er es heute auch, zweitens ist er heute nicht Anführer, sondern Abgesandter, drittens ist er der Sohn des Försters. Selbst Vera kann nicht umhin,
Weitere Kostenlose Bücher