Land Spielen
scheint zu halten, unser Zaunbauer scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Wir rütteln daran, entdecken und pflücken erste Wollfetzen, die sich bereits im Draht verfangen haben. Mit einem »Schau mal, was wir gefunden haben« stürmen wir ins Haus, ein Wollkügelchen soll unser Begrüßungsgeschenk sein, aber unser Held der Arbeit feiert sich bereits selbst, mit der Frau Dorflehrerin sitzt er am Küchentisch, auf dem Küchentisch stehen zwei Flaschen Bier. Als wir erzählen, wie sehr die Schafe ihr neues Zuhause genießen, legt Moritz die Hand auf Christines Schulter, sagt, man solle ihr danken, ohne ihre Hilfe hätte das nie geklappt.
Dann beginnt Moritz zu prahlen von einem langen und ergiebigen Arbeitstag, aber dieser Text ist schon nicht mehr an uns gerichtet, Christine stimmt in sein Loblied ein, wir riechen den zweifach süßlichen Bieratem, hören, wie die Dorflehrersfrau von körperlicher Arbeit schwärmt und dass sie das jeden Tag machen könne. Wir verlassen die Küche und hoffen, dass sie nicht zum Abendessen bleibt.
*
Am Abend bleibt Moritz’ Laune gut, obwohl auch Vera bei ihrer Heimkehr wenig Freude zeigte über die neue Arbeitskraft, die unterdessen zum Glück wieder zu Hause bei ihrem Mann, dem Dorflehrer, ist. Unser Redner ist redselig, unsere Schweigerin schweigt. Wir sitzen beim Abendessen, belegen Brote mit Käse oder mit Wurst oder belassen es bei der Butter. Manche von uns belassen es mit dem Essen. Moritz isst mit Appetit, redet mit vollem Mund über den sonnigen Frühlingstag, über Ausbaupläne, über Kaninchen, die bald angeschafft werden, darüber, dass man bald einmal ein paar Hühner schlachten sollte, dann gäbe es endlich eigenes Fleisch. Das Radio ist an, der Nachrichtensprecher redet mit Moritz um die Wette, unser Mann gewinnt, verkündet an Butter, Käse und Brot vorbei vollmundig, dass er sich freue auf Coq au Vin, auf Hühnerschenkel, darauf, sich als Schlachter zu versuchen und gerne auch als Koch.
Appetitlosere von uns schieben Brote im Teller umher, fragen sich, wo diese gute Laune auf einmal herkommt und ob sie gerechtfertigt ist.
Gewisse von uns lassen Brot und Wurst und Käse aus Vergesslichkeit im Teller, andere vor Aufregung, sie fragen nach Hühnern und ob es wahr sei, dass sie mit abgehacktem Kopf noch tagelang weiterrennen. Und ob wir helfen dürfen beim Hühnerschlachten, ob wir die Axt schwingen und kopflosen Tieren hinterherrennen dürfen. Die Schweigerin hält nichts von toten Hühnern, bevorzugt lebende Eierlegerinnen, bevorzugt Radionachrichten und Schweigen, will nichts hören von Totschlagargumenten oder Um-den-heißen-Brei-Gerede, will aber auch vom Brei genauso wenig hören wie von Hühnersuppen. Sie möchte bloß in Ruhe essen, möchte bloß in Ruhe leben, möchte bloß zweifellos Land spielen und sich nicht ärgern müssen, dass sie neuerdings ungefragten Helferinnen dankbar sein müsste. Wir wollen wir sein, wollen wir bleiben, wir sind uns genug, das ist Regel Nummer eins des Landspiels.
Wir haben keine Lust auf Uneinigkeit, verzichten also auf Auseinandersetzungen, verzichten auf Fragen, eine ungebetene Helferin bringt uns nicht auseinander. Und zusammengefasst ist unsere Laune gut: Die Esser und die Redseligen versuchen Negativwertungen in der Gesamtrechnung auszugleichen, überstimmen Miesepeter mit Nachdruck. Nur ein »Was ist, du bist doch nicht etwa eifersüchtig?« kann sich unser Gutgelaunter nicht verkneifen, er lacht dabei, fügt dann mit versöhnlicher Stimme hinzu, dass wir die Wahl hätten, ihm zur Hand zu gehen oder ihm nicht dreinzureden, und am Wochenende hätten ja alle von uns frei, dann werde der Kaninchenstall gebaut, und beim Ausmisten dürften alle helfen. Und weil sich unser Arbeiter ansonsten wieder Hilfe holt, bedeutet »dürfen« auch in diesem Fall »müssen«.
Irgendwann steckt Moritz’ gute Laune auch Vera an, ausnahmsweise gehen heute alle von uns früh zu Bett. Aus dem Elternschlafzimmer hören wir erst Gelächter, das nach Versöhnung klingt. Dann verändern sich die Laute, wir kennen sie, auch Kinder wissen, dass aus solchen Geräuschen Kinder gemacht werden.
*
Der Schönste in der Schule ist der Schönste im Dorf, es ist der Sohn des Försters. Es wird daran liegen, dass er ein Sohn der Freude ist, seine Mutter heißt Joy, hat ihrem Kind die langen Wimpern vererbt, die dunklen Augen. Er hat die schönste Mutter, nach ihr drehen sich die Bauern noch häufiger um als nach Christine, obwohl sie älter ist als
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