Land Spielen
richtet sich Moritz auf und, die Krampe immer noch im Mundwinkel, grinst Christine breit an. Er auf der einen Seite des Pfahls, sie auf der anderen. »Vorsicht Finger!«, sagt Moritz, und bevor sie etwas erwidern kann, beugt sich Moritz wieder über seine Arbeit, befestigt den Zaun auch an der obersten Position mit wenigen Schlägen.
Moritz hat seine Lockerheit zurück, in Gesellschaft arbeitet es sich leichter, Moritz wirft den Hammer in die Luft, fängt ihn nach einem Salto wieder am Stiel, Christine lacht, man bewegt sich zum nächsten Pfahl, zieht den Zaun gerade, Christine hält, Moritz hämmert, das könnte immer so weitergehen, bald könnte man anfangen zu pfeifen, bald könnte man auf dem Weg zum nächsten Pfahl den Arm auf die Schultern des andern legen, aber dann greift Moritz ein weiteres Mal in die Schachtel, zieht bloß zwei statt drei Krampen heraus, die Schachtel ist leer.
*
Der schulpflichtige Teil von uns sitzt vor- und nachmittags im Klassenzimmer. Immer wieder wandert ein Blick in Richtung Decke. Nicht, weil wir da nach einer Lösung suchen, die im Nachbarsheft nicht zu finden ist, nicht, weil wir Zeit schinden wollen, um auf die Antwort einer Lehrerfrage zu kommen, nein, auch beim Schönschreiben, wenn der Lehrer sämtliches Getuschel von sämtlichen auf sechs Klassen verteilten zwölf Schülern zum Schweigen bringen konnte. Im Raum sind bloß kratzende Geräusche von schmierenden Füllern zu hören, ein Schüler- oder der Lehrerblick taucht aus der Arbeit auf, sucht die Decke ab, ungläubige Ohren versuchen sich in den oben liegenden Raum zu bohren, von wo kein leises Heulen, kein Trampeln mit den Füßen zu hören ist und keine Ausrufe, dass »es« ungerecht sei. Die Stimme müsste von der Lehrersfrau und aus der Dorflehrerwohnung kommen, »es« wären wohl die gewünschten Neugeborenen, die es nicht lange genug im Lehrersfrauenbauch ausgehalten hatten, aber »es« wäre bestimmt auch das Leben an sich, das kalt und hart ist und keine Rücksicht nimmt auf Menschen, die eine zu dünne Haut haben, die schneller frieren als andere, die sich am liebsten klein gemacht und zusammengekauert hätten, irgendwo in einer Ecke des eigenen Körpers. Da, wo die böse Welt sie in Ruhe lässt.
Aber seit es Frühling geworden ist, hören wir keine Schritte mehr vom unendlichen Kreisen der Frau Lehrerin. Wir vermissen diese Gestalt im Morgenmantel, die kurz anklopfte und dann im Türrahmen erschien, die den Dorflehrer in seinen Wandtafelaufzeichnungen unterbrach und uns Zeit gab, geheime Zettel oder versteckte Knöchelschläge auszutauschen. Der Dorflehrer übertrug uns schnell Fleißübungen. Aus je nach Schulstufe roten, blauen oder grünen Büchern mussten Rechenaufgaben in stets orangefarbene Hefte übertragen und darin gelöst werden. Während der Lehrer seine Autorität dazu einsetzte, die Verlorene wieder einen Stock höherzubringen, ihr ein Buch in die Hand zu drücken und zu sagen, gleich sei Mittag, gleich sei er wieder bei ihr, schaute man einen Stock tiefer offen auf fremde Resultate, bis alle dieselben Fehler in den orangefarbenen Heften hatten. Alle außer Fabian, der sich mit Vorliebe gegen das wehrt, was alle tun, und lieber eigene Fehler macht.
Dass die Dorflehrersfrau nun so gut gelaunt ist, wird am Stricken liegen, denken wir, es werden die spitzen Nadeln sein, mit denen sie sich mögliche Tröster und übermächtige Sorgen vom Leib hält. Seltsamerweise freuen sich nicht alle mit ihr über die neuerdings ungetrübte Laune. Mit ihrem Ehemann teilte sie bisher vor allem Sorgen. Während sie sich dringend ein Kind wünschte, hatte er sich längst an die Vaterrolle ge„wöhnt, er war ein routinierter Ins-Bett-Bringer, ein verständnisvoller Zudecker, hatte sogar ruhige Worte zur Verfügung, wenn seine Frau wieder einmal unangemeldet vor der Schulzimmertür stand.
Heute kommen wir von der Schule, wir sehen von weitem die Schafe, die ihre neue Umgebung erkunden, sie scheinen trotz reichhaltigem Platz vor allem an ihrer Umzäunung interessiert, versuchen, ihren Kopf durchs zu enge Gitter zu strecken, um als Erstes das ihnen verwehrte Gras zu fressen. Wir müssen das von nahem sehen, streichen über in Gitter eingeklemmte Schafschnauzen, flüstern unseren Lieblingen zu, dass sie ihre Mahlzeit auch auf legale Weise erhalten können: »Hinter euch wächst genug!«
Schafe scheinen sich von Kindern nicht beeinflussen zu lassen, sie strecken weiter ihre erstaunlich langen Hälse, aber der Zaun
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