Land Spielen
sein Charisma zu bewundern. Sie will den Schönen offensichtlich nicht so schnell gehen lassen, kauft Berg„bauernaufkleber, fragt, wie lange seine Tour noch sei, lädt den Gast ein, unser Gast zu sein.
Fabian hat keine Lust auf Anbiederungsversuche, Ada würde gerne spielen, kann aber vor lauter Hitze im Körper nicht mehr sprechen, Ralf teilt mit dem Sohn des Försters den Jahrgang, scheint also der ideale Gastgeber zu sein. Vera spricht vom Wald, spricht von Spielen, die man darin spielen kann, Förster junior scheint den Wald zur Genüge zu kennen, sagt, seine Tour sei noch lang, was nicht an den paar Häusern des Dorfes liegt, sondern daran, dass die Wege dazwischen so weit sind.
Der Försterjunge ist der erste Klassenkamerad, der uns besucht, die Distanzen zwischen Häusern und Höfen scheinen für Kinder unüberwindbar. Wir können den Aufklebervertreter nicht so einfach wieder gehen lassen, wenden Tricks an, Vera sagt: »Du kannst ihm ja mal dein Zimmer zeigen.« Sie meint Ralf und meint, dass sie damit ihren Elternpflichten Genüge getan hat, der schöne Junge zuckt mit den schmalen Schultern, nimmt die Schachtel mit den zu unterstützenden Bergbauern wieder an sich, nicht, dass ihm noch ein Wildheuer gestohlen wird. Zwei dunkle Augen schauen Ralf zwischen langen Wimpern an, im Hintergrund macht Vera ihm Zeichen, die bedeuten sollen, dass er ruhig abtreten dürfe. Also geht Ralf vor, geht unsicher die Treppe hoch, hinter ihm folgt der Försterssohn mit seiner Pappschachtel unter dem Arm. Dem Arm, dessen sehnige Muskeln von Ada bewundert werden, die hinter den beiden herschleicht. Ada bleibt auf der Schwelle zu Ralfs Zimmer stehen, schaut bloß und will beim Schauen nicht gesehen werden. Ralf braucht keine kleine Schwester, die dasteht und starrt, schließt die Tür, bleibt mit dem Sohn des Försters im kleinen Zimmer allein.
Der Sohn des Försters ist in unsere Falle getappt. Hier könnten wir unsere Überlegenheit ausspielen, könnten es dem Übeltäter locker heimzahlen. Wir könnten unseren Gast als Geisel halten, könnten ihn foltern, wissen allerdings schon das Wesentliche. Keine Frage, warum er in den Pausen pausenlos unsere Nähe sucht, unsere Hälse mit starkem Arm umfasst, falls er uns nicht auf Distanz hält, indem er uns die Pausenplatzböschung hinunterstößt.
Nun hat Ralf Heimvorteil, fühlt sich im kleinen Zimmer jedoch selbst in der Falle, weiß nicht, was man tun, weiß nicht, was man sagen soll, tut und sagt also nichts. Auch der Sohn des Försters schweigt, steht im Zimmer herum. Jeder der beiden scheint zu warten, dass der andere den ersten Schachzug macht, es könnte auch ein anderes Spiel sein, alles ist besser als diese Ahnungslosigkeit, alles besser, als im kleinen Zimmer schweigend herumzustehen.
Ada im Flur wird nervös, zweifelt an ihrem Hörvermögen. Presst sie das Ohr an die Tür, ist Meeresrauschen das Einzige, was das Holz preisgibt. Bis der Sohn des Försters sagt, er müsse dann jetzt vielleicht doch noch seine Tour beenden. Ada hört keine Schritte, hört bloß Ralf, der sagt, man könne sonst auch Comics anschauen zusammen. Der Sohn des Försters ist so wortkarg wie alle im Ort, sagt: »Mhm«, wahrscheinlich kneift er dabei seine Augen zusammen, wie die Dorfbewohner, wenn sie denn einmal etwas sagen. Ada stellt sich das Zusammenkneifen der Augen vor, stellt sich die dunklen Augen vor, die langen Wimpern, sie muss auf ihre Unterlippe beißen, muss von einem Bein aufs andere hüpfen, ist kurz davor, vor sich hin zu singen. Ralf kommt dem zuvor, öffnet die Tür, sagt, sie solle nicht so einen Krach machen. Sagt: »Wir wollen lesen!«
Ralf liebt Superhelden. Er kennt und teilt ihre Nöte, weiß, wie es Spiderman ergeht, wenn er Peter Parker ist, träumt davon, sich nachts durch Häuserschluchten zu schwingen und Bösewichte in Netze zu wickeln. Aber Ralf wurde nie von Spinnen gebissen, und die Häuser hier sind zu wenig hoch, stehen zu vereinzelt. Ralf kniet vor seinem Bett, spürt den starren Blick seines Feindes, den er heute zu seinem Verbündeten machen muss, im Nacken, er zieht den Stapel Hefte hervor, breitet sie auf dem Bett aus, schlägt wahllos Seiten auf, seine Hände hinterlassen feuchte Flecken auf dem Hochglanzpapier. Er preist seinen Schatz an, spricht von Spinnenbissen und von grünen Blitzen, die aus Schuljungen oder Physikstrebern kostümierte Muskelprotze machen. Der Junge des Försters legt sich bäuchlings aufs Bett, greift wahllos nach einem der
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