Land Spielen
Hefte, blättert es nach Kampfszenen durch, vertont ein Paar der Schläge, scheint begeistert von den übertriebenen Muskeln, die sich unter den engen Kostümen abzeichnen, blättert weiter und ist noch begeisterter, als er auf weibliche Formen trifft, die von noch engeren Kostümen noch schlechter verdeckt werden.
Ralf sitzt auf der Bettkante, als wäre er der Besuch, er schaut sich Bilder an, die er auswendig kennt, versucht, sich auf zu verprügelnde Bösewichte und Netze schleudernde Handgelenke zu konzentrieren, sein Blick trifft immer wieder den Feind, wandert von dessen Kopf über den Rücken. Unter dem Hemd zeichnen sich einzelne Rückenwirbel ab. Ralfs Superkraft ist die Erinnerung, er müsste sich erinnern, dass sie das ist. Aber es ist, als habe sich Adas Stärke durch die Tür auf ihn übertragen. Ada, der ansonsten das Blut in den Kopf steigt, wenn sie etwas zu lange anschaut, Ada, die die Zeit anhalten möchte, wenn ihre Hand durch dichte Schafwolle fährt, Ada, die die Hand ausstrecken möchte, wenn sie den Försterjungennacken eine Bankreihe vor sich sieht.
Ralf sieht den Försterjungennacken, sieht die Försterjungenrückenwirbel. Ralf kommt diese Anwesenheit eines fremden Körpers plötzlich seltsam vor. Denn der fremde Körper wirkt plötzlich eigenartig vertraut. Man möchte mit der Hand diese Rückenwirbel ertasten, möchte die kurzen, schwarzen Haare beim Nacken zwischen Zeige- und Mittelfinger nehmen, daran sanft herumdrehen. Man sollte sich aufs Lesen von Superheldengeschichten konzentrieren und nicht auf die Gabe der kleinen Schwester. Die kleine Schwester, die noch immer im Flur vor der verschlossenen Tür sitzt, die ihre langen, dunkelblonden Haare zwischen Zeige- und Mittelfinger dreht, die längst aufgehört hat, in den Raum hineinzuhorchen, die bloß dasitzt und die Zeit vergisst. Ada, die vom schönsten Jungen des Dorfes träumt, der plötzlich der schönste Junge im Haus ist.
Vera entdeckt sie auf ihrem Wachposten, scheucht sie nach draußen, Fabian sei auch dort, und sowieso sei schönes Wetter. Ada versucht sich zu wehren, probiert es mit Argumenten wie: Aber Ralf, aber der Besuch. Vera lässt nicht mit sich reden, die Wache wird abgelöst. Während sich Ada in die Sonne trollt, horcht sie ins Kinderzimmer, hört gleichfalls nichts und lässt Gast und -geber in Ruhe.
Während Ralf zu Ada wurde, befasst sich diese nun mit Fabians Hauptbeschäftigung, schlendert durchs Gras und langweilt sich. Drinnen spürt Ralf adagleich den Herzschlag im Hals. Er vergisst, regelmäßig umzublättern, um den Leseschein zu wahren, er schaut auf den Feindesrücken, möchte mit seinem Arm den Arm des Klassenkameraden berühren. Plötzlich dreht sich der schöne Feind auf dem Bett, sieht unserem Superheldenkenner direkt in die Augen. Der Blick ist kurz, der Angeschaute bewegungslos, der Försterjunge klappt das Heft zu. Er fragt: »Kann ich ein paar davon ausleihen?«
Ralf verleiht seine Schätze nicht, aber heute macht er sich einen Freund. Der Besuch wählt freudig aus, sagt zusammenhangslos: »Ich muss dir irgendwann unsere Waldhütte zeigen.« Ralf weiß nichts zu antworten. Als der Försterjunge unser Haus verlässt, liegen in seiner Pappschachtel neben Wildheuern und Sennen ein paar mutierte Wissenschaftler, mehrere hochgerüstete Einzelkämpfer und eine kaum bekleidete, silberne Hexe.
*
Erkundigen wir uns bei Ralf, wie sein Nachmittag war, ist er so auskunftsfreudig wie ein Dorfbewohner. Sagen wir, dass wir es schön finden, dass einmal ein Schulkamerad bei uns zu Besuch war, antwortet er: »Mhm.« Fragen wir ihn, ob er sich freue, einen Freund gefunden zu haben, sagt er: »Fragt nicht so blöd.«
Ralf hat die Superhelden längst wieder unter dem Bett verstaut, er versucht, sich mit Tierefüttern abzulenken, versucht uns wohl zu entkommen. Auf dem Heuboden stochert er mit der Heugabel im Heu, unten blöken die Schafe, sie warten, dass ihr Abendessen von der Decke fällt. Ralf sticht in die Heureserven. Statt neben sich auf dem Holzboden einen Haufen zu bilden, den Haufen durchzulockern und die aufgemischten Halme nach unten zu werfen, bohrt er die Gabel immer tiefer ins tote Gras. Er versteht nicht, was das heute war, denkt an den Rücken des Feindes, an die Rückenwirbel unter dem Baumwollstoff, an die kurzen Haare beim Nacken, denkt an den nächsten Schultag, das Klopfen im Hals ist diesmal die Angst.
Ralf erinnert sich an Schulfreunde aus der Stadt, keinem hatte er so nahe sein wollen
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