Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
Vom Netzwerk:
während der Försterssohn über sein Rechenheft gebeugt den Kopf schüttelt.
    Fabian sieht auch diesen Herbst keinen Grund, in die Schule zu gehen, hier lernt man nichts, was man brauchen könnte. Außer die Nahkampftechniken, die in der Pause an uns geübt werden.
    *
    Es wird September, es wird Oktober. Vera, die bloß die Ruhe sucht, die wenig braucht im Leben, weil sie hier alles gefunden hat, die problemlos den ganzen Tag vor dem Haus sitzen und sich über die Aussicht freuen könnte, sieht genau, was vor sich geht, wenn sie nicht anwesend ist. Sie greift nicht ein, lässt es passieren. Sitzt der Besuch wieder einmal im Wohnzimmer, wenn sie nach Hause kommt, dann sucht sie Ausreden, um die beiden allein zu lassen, sie steigt noch einmal aufs rote Mofa, lässt sich Zeit im Dorfladen.
    Wir wollen wir sein. Das war Regel Nummer eins. Wir wollen wir bleiben, wollen unter uns bleiben, wollen keine Fremdlinge, Eindringlinge, da geht es uns wie den Dorfbewohnern, die auch nicht gewartet haben auf Dorfstraßengespräche, die sie mit Ex-Städtern führen sollen, auf Heckenfragen, die es plötzlich zu klären gilt, auf Schafzüchterneulinge, die man nicht aus den Augen lassen darf, weil die von Schafzucht keine Ahnung haben können, die können wieder nach Hause gehen mit ihren Hecken, und unser Zuhause ist in Dorfbewohnerschimpftiraden, die wir nie zu Ohren bekommen und uns also bloß vorstellen können, die Stadt, in die wir nicht zurückwollen, weil hier unser Zuhause ist und weil wir uns hier genügen. Wir brauchen keinen allabendlichen Besuch vom Dorflehrer, den gewisse von uns allmorgendlich sehen. Wir können vor allem auf Dorflehrersfrauenbesuch verzichten, viel zu häufig kommt sie vorbei, stochert mit von uns geliehenen Stricknadeln in unserem Leben herum und verkündet, wie glücklich sie sei, dass wir hier seien.
    Kommen wir nach Hause von der Schule oder von überflüssigen Dorfladeneinkaufstouren, hören wir die Glücksverkünderin im Wohnzimmer lachen. Auf der Türmatte klopfen wir lautstark den Staub von den Schuhen, wir rufen im Flur ein lautes »Hallo« und warten auf das Echo aus dem Wohnzimmer, das sofort kommt. Dann horchen wir ins hellhörige Haus hinein, erwarten das Rascheln von eilig zusammengesuchten Kleidungsstücken, das kurze, abgehackte Sirren von schnell schließenden Reißverschlüssen, wir legen unsere Ohren an die Wand, um das Geräusch zu hören, das entsteht, wenn Hände durch Haare fahren, um Frisuren zurechtzurücken. Aber wir hören bloß ein erneutes »Hallo« aus dem Wohnzimmer, wo man verwundert zu sein scheint, dass es im Flur auf einmal so still ist. Die Sofasitzer scheinen vorbereitet auf unsere Nachhausekommenszeiten, scheinen einschätzen zu können, wie lange eine Fahrt zum Dorfladen und zurück dauert. Wenn wir das Wohnzimmer betreten, sitzen Moritz und Christine mit dem nötigen Abstand in je einer Sofaecke, sie bieten uns etwas von dem Tee an, der neben ihnen steht, bloß eine Tasse müssen wir uns noch holen. Ihre unschuldigen Fragen, wie es uns denn so gehe, wie es denn in der Schule gewesen sei oder bei der Arbeit, können uns nicht täuschen. Kann sich unser halber Gemeindeschreiber in gemeindeschreiberfreien Zeiten nicht einfach um den Haushalt kümmern statt um gemeinsame Freundinnen, es gibt in der Scheune Arbeit, auch im Haus wäre noch einiges zu tun! Wir würden ihm zur Hand gehen, wenn wir nach Hause kämen, würden mit ihm Schaftränken auswaschen oder Regale improvisieren. Wir würden uns freuen, ihn so allein zu treffen, und er würde sich freuen, nicht mehr allein zu sein. Wir wären bloß wir, wir sind uns genug, unser Haus ist klein genug, da muss man nicht andauernd großherzig Leute einladen. Wir können auch einmal ohne Verbündete sein. Könnten sagen: Heute passt es nicht, wir wollen einmal einen Abend nur für uns. Und nur mit uns. Wir genügen uns.
    Vera lässt sich den unausweichlichen Tee einschenken, betrachtet die beiden Sofasitzer: Sie sind wie ein geübtes Tanzpaar, weichen jeder Offensichtlichkeit scheinbar problemlos aus, halten den Takt, ergänzen sich hervorragend. Unser Redner erzählt weitschweifend und pointenreich, Christine weiß immer, an welcher Stelle sie lachen und wo sie einhaken muss, kommt sogar selbst zu Wort.
    Schön sehen sie aus, die beiden. Schön, wie Moritz sich freut über das Publikum, schön, dass er sich nicht in Monologen verliert, sondern den Ball abgibt an Christine, die eine schöne Zuhörerin ist, die schön

Weitere Kostenlose Bücher