Land Spielen
keinesfalls Soldat, und Fabian lacht.
Herr Mirko sagt, dass Fabian aufhören solle zu lachen, und Fabian lacht. Die Milchkanne wackelt schon. Herr Mirko springt auf, macht eine Grimasse, die böse aussehen soll, Fabian wäre beinahe erschrocken, muss aber lachen, denn Herr Mirko schreit ihn dazu lustig an, spricht Kauderwelsch, spielt Dörfler, spielt böse. Fabian kann das nicht ernst nehmen, im Gegensatz zu den Kühen, die zu muhen und auszuschlagen beginnen. Gerade haben sie sich noch vorgestellt, dass vier Kälbchen gleichzeitig an ihren Zitzen saugen, und auf einmal dieses Gebrüll. Fabian solle verschwinden, sagt Herr Mirko. Fabian kann ihn nicht ernst nehmen, aber kann schon nicht mehr vor Lachen, er dankt dem Jugoslawen für die erste Lektion in Milchwirtschaft und macht sich auf den Nachhauseweg. Als Herr Mirko ihm nachruft, dass die Kühe bei so einer Unruhe bestimmt nicht die ganze Kanne füllten, hält sich Fabian den Bauch. Er hat einen Freund gefunden, dafür nimmt er die echte Schelte gerne in Kauf, die bei uns auf ihn wartet, weil er zu spät zum Essen kommt.
*
Fabian besucht seinen neuen Freund regelmäßig. Bei den ersten Besuchen ist Herr Mirko schweigsamer. Spricht er, macht er dieselben Scherze wie immer, veräppelt die Dorfsprache, bis Fabian lacht und Herr Mirko wieder verstummt. Lange hält er es nicht aus, den Sommer über ist der Jugoslawe allein, kann sich nur mit Kühen unterhalten, da ist ihm ein neugieriger Novize wohl eine willkommene Ablenkung. Auch wenn sich dieser über seine Aussprache lustig macht.
Fabian will wissen, wohin das Grüne im Gras kommt, wenn es zur Milch wird oder zu braunem Kuhfladen. Fabian will probieren, ob unterschiedliche Kühe unterschiedlich schmeckende Milch geben. Fabian macht sich mit Herrn Mirko über die Dorfbewohnersprache lustig, bis ihm Herr Mirko übers Maul fährt und sagt, er solle normal sprechen. Fabian lacht und fragt, ob man in Jugoslawien auch normal spreche. Herr Mirko spricht nicht gerne über Jugoslawien, sagt also bloß, dass Jugoslawien in der Vergangenheit liege. Sagt, die Vergangenheit liege im Osten. Zeigt, wo Osten liegt. Sagt, man solle es aber machen wie die Kühe, die interessieren sich nicht für den Osten. Kühe interessieren sich ausschließlich für Norden oder Süden. Wie Kompassnadeln stehen sie in der Landschaft, überall sei das gut zu sehen. Nur bei den Weiden neben dem Flusskraftwerk, da, wo die Hochspannungsleitungen sind, da stünden die Tiere auf einmal kreuz und quer, sagt Herr Mirko. Diese Hochspannungsleitungen seien gefährlich, sagt Herr Mirko. Und Fabian muss versprechen, dass er sich nicht zu oft beim Kraftwerk herumtreibt.
Also geht Fabian am nächsten Tag zum Kraftwerk.
Er stellt sich stundenlang da hin, wo die meisten Drahtleitungen den Himmel in Stückchen schneiden. Fabian schaut hoch zu den dicken Tannzapfen, die die Drähte mit den Strommasten verbinden, wartet, dass er die Nord-Süd-Orientierung verliert, die er nie hatte. Fabian wartet auf ein Schwindelgefühl, auf einen Elektroschock, auf Blitzeinschläge.
Fabian weiß, dass die meisten Erwachsenen lügen. Sie behaupten, man lerne schreiben, und dann darf man doch bloß langweilige Schnörkel abzeichnen und zwischen ewig gleiche Linien klemmen. Oder es heißt, dass es allen besser gehen werde, wenn man hier auf dem Land lebe, und dann wird plötzlich immer gestritten, wenn Erwachsene denken, dass die Kinder nicht in der Nähe sind. Nur Herr Mirko sagt die Wahrheit.
Herr Mirko sagte, dass es unter Hochspannungsleitungen gefährlich sei, und tatsächlich ist es gefährlich langweilig. Nicht einmal Kühe sind heute hier. Fabian schaut die grünen Hochspannungsmasten an, turnt an den Querverstrebungen herum. Er versucht, ganz nach oben zu klettern, gibt auf, weil das kein Kinderspiel ist. Fabian langweilt sich und will noch nicht nach Hause, wo ja doch bloß wieder die Dorflehrerin sitzt und strickt und Kaffee trinkt, und wenn man das Wohnzimmer betritt, stört man, und man muss sich anhören, man störe überhaupt nicht.
Also geht Fabian nicht nach Hause.
Also sucht Fabian Herrn Mirko. Obwohl es noch viel zu früh ist, um Milch zu holen.
Beim Stall des Nachbarsbauern des Nachbarsbauern ist Herr Mirko nicht. Er ist nicht auf einer der stallnahen Kuhweiden.
Fabian geht durchs Dorf, lässt sich von Dorfbewohnern grüßen, lässt sich von Dorfbewohnern anschimpfen, weil er nicht zurückgrüßt. Fabian kann sie nicht beachten, er muss der Langeweile
Weitere Kostenlose Bücher