Land Spielen
Donnerwetter in sich. Was belagern diese beiden uns all die Tage?, was flirtest du so offensichtlich mit der Helferin?, warum kommt man sich daneben so überflüssig vor?, als wären es nicht wir, die hier Futter ernten, sondern allein du, oder ihr, du und sie, sie, die sich nicht mehr halten kann vor Freude über so viel Handarbeit. Wir kennen diese Freude, sie gehört uns, noch vor einem Jahr galt der Erntedank uns allein, und also auch der Spaß, nun ist er zur Arbeit geworden. Außer für die Euphorikerin und den Netzträger, der von ihr angefeuert wird.
Auch Andreas’ Gesicht zeigte Missstimmung, wenn da nicht Tuch und Brille sein Angesicht verschleierten. Er ist Allergiker, er hat guten Grund, nicht hier zu sein, soll Christine sich doch allein in ihrem Arbeitsrausch vergnügen. Soll sie doch in die Hände klatschen, wenn Moritz freihändig, da mit beiden Händen am Netz, die Leiter hochklettert, die zur Luke in der Scheunenwand führt.
Christine klatscht in die Hände, Moritz sucht mit den Knien nach sicherem Halt auf der jeweils nächsten Sprosse, wieder fühlt er sich wie Atlas, auch wenn die Begeisterungsrufe weniger vielstimmig sind als in unserem ersten Jahr.
Die Kleineren von uns sehen genau, was vor sich geht. Die Kinderarbeit ist, die Holzschiffchen am Heunetz aus den entsprechenden Schlaufen zu ziehen, im Scheuneninneren ist die Luft noch dichter als draußen, das Licht, das durch die Ritzen und durch die Luke dringt, bricht sich tausendfach an tanzenden Pollen. Auch wer keinen Heuschnupfen hat, bekommt hier eine verstopfte Nase. Wir nicken dem Heuträger mit zu„sammengekniffenen Augen zu, von oben gibt er An„weisungen: »Das Heu gut verteilen! Wenn neues Heu zu kompakt liegt, kann es sich beim Gärungsprozess entflammen.« Wir fragen nicht nach, warum und weshalb, lassen unseren Anführer den Rückweg antreten, wo bereits das zweite Netz bereitliegt. Wir haben einen Hin- und Rückweg lang Zeit, das erste Netz zu leeren, das Heu zu verteilen und dabei zu diskutieren, was wir tun, wenn unser Vater die Dorflehrersfrau heiratet.
Aber schon ab der dritten Heuladung haben sich flüchtige Zärtlichkeiten und Händeklatschen erübrigt, die Wolken ziehen näher, das Grollen breitet sich immer weiter über dem Himmel aus, Moritz weiß nun, wie er den Kapuzensaum beim Aufladen zwischen den Zähnen halten muss, damit die Kapuze nicht verrutscht, er findet die Netzstränge routiniert und ohne Hilfe. Kaum ist er wieder oben an der Leiter, ordnet er an: Es reiche, wenn jemand das Netz öffne und leere, verteilen könne man das Gut auch noch bei Regen. Der Regen kommt bald, also braucht es draußen Groß und Klein. Wir hetzen auf dem Feld hin und her, vergessen Pingeligkeiten, rechen grob die letzten Halme zu Bahnen zusammen, säubern die Wiese nur oberflächlich, wenn wir aus Bahnen Haufen bilden. Wir schnüren das eine Netz schon, während der Netzträger das andere noch die Leiter hochbuckelt.
Ada sitzt derweil auf einem hervorstehenden Balken der Scheunenwand. Es ist ihr Lieblingsplatz. Während die anderen rennen, schaukelt sie vor und zurück, trällert vor sich hin, scheint weniger die Höhe als die Berührung zu genießen, das warme Gefühl, das vom Balken ausgeht und von unten weich die Wirbelsäule hochsteigt. Sie unterbricht ihr Nichtstun nur ungern, wenn Moritz das volle Netz in die Luke wirft, wenn Fabian es öffnet, es Ada zuwirft, deren Aufgabe es ist, es wieder durch die Luke und nach draußen zu werfen. Zu Ralf, der es zu einem der verbliebenen Heuhaufen trägt.
Andreas sehnt den Regen herbei, der ihn endlich wieder atmen lassen wird. Die Nachbarsbauern haben ihre Ernte dank modernerer Technik längst eingebracht. Kahl und leer sehen die Felder aus, wir sind die letzten Menschen auf den Feldern, wir sind die letzten Menschen kurz vor dem Weltuntergang. Kommandos schallen über die Wiese, das erweiterte Team ist eingespielt, arbeitet rhythmisch, arbeitet schnell.
Noch vier Ladungen. Für Missstimmung ist keine Zeit, »Jetzt geht’s los«, ruft Vera, und bald spüren auch die anderen Heuer die ersten Tropfen.
Noch drei Ladungen. Moritz wird kurz schwarz auf der Leiter, er muss die eine Hand aus dem einschnürenden Netz zerren, sich festhalten, die Last auf seinem Buckel einhändig einbringen.
Noch zwei Ladungen. Ralf reicht Christine die Schlaufe, sie fädelt das Schiffchen ein, ein Blick geht nach oben in den Himmel, der Donner hätte es ihr auch so verraten: Nun bricht es los.
Noch
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