Land Spielen
müssen, meist gehen wir zu zweit, manchmal schicken die Größeren auch alle drei, damit sie in Ruhe Essen kochen oder streiten können. Seit es Herbst geworden ist, treffen wir meist den Jugoslawen, der dem Nachbarsbauer des Nachbarsbauern gehört. Eigentlich arbeitet der Jugoslawe nur für den Nachbarsbauer des Nachbarsbauern, eigentlich heißt der Jugoslawe Mirko, eigentlich gibt es Jugoslawien schon lange nicht mehr. Wir kümmern uns nicht um solche Details, freuen uns, dass im Winter die Alp geschlossen ist, dass er mit ernstem Gesicht immer so lustige Späße macht und dass er uns die Kälber tränken lässt. Wir – Ralf, der Erinnerer, Fabian, der Starke, und Ada, die Verlieberin – stehen in Gummistiefeln in seinem Stall herum, erinnern uns, dass wir einmal beschlossen hatten, Kühe doof zu finden, sind stark genug, um den Eimer für die Kälber durch die Scheune zu schleppen, verlieben uns sofort in große Kälberaugen. Der Jugoslawe macht Witze, macht sich über die Sprache der Einheimischen lustig, erklärt wort- und pointenreich, wie wir den Eimer und wie den Kälberschnuller zu halten haben. Wir lachen, wir geben uns Mühe, wir müssen plötzlich aufquietschen, denn Kälber scheinen Kinderhände Kälberschnullern vorzuziehen. Die Kälber saugen an unseren Fingern. Kälberzungen sind lang, sind rau, raspeln über glatte Kinderfinger. Hat man sich einmal an den Mundinnenraum gewöhnt, ist es ein schönes Gefühl, Fabian hält mit Stärke gegen die Saugkraft, um nicht verschluckt zu werden, Ada himmelt das Tier an, das sie mit einem Euter verwechselt hat, Ralf erinnert sich plötzlich, dass es schon spät ist, dass wir Milch holen wollten, dass das Abendessen bestimmt schon auf dem Tisch steht, dass die Eltern sich wohl längst wieder versöhnt haben.
Wir reißen uns los aus Kälbermündern, reißen uns zusammen, obwohl wir immer noch hingerissen sind vom weichen Kälberfell. Nur Fabian will nicht kommen, Kälber interessieren ihn nur halb, er lässt sich nicht mit Kleintier abspeisen, will sich auch um die Großen kümmern. Der Jugoslawe macht ein strenges Gesicht, scherzt, Fabian dürfe gerne ein andermal kommen, sagt so lustig wie er kann, dass wir jetzt nach Hause sollen. Fabian muss lachen, der Jugoslawe füllt unseren Eimer mit Milch, wir schleppen ihn zu dritt zurück. Die Strecke ist eingeteilt in drei Drittel, den ersten Teil des Weges trägt Ada den Eimer, dann Fabian, dann behauptet Ralf, dass das verbleibende Stück mehr als ein Drittel sei, dann streiten sie sich, in der Hoffnung, dass Ada noch einmal trägt. Aber sie spielt die Kleinste, man kann sich noch so lange prügeln, der Eimer findet nicht allein zum Haus.
Obwohl keiner von uns gerne Milchträger ist, tauscht Fabian von nun an immer häufiger Abwaschen oder Schafefüttern gegen den Holdienst. Er will wohl Stärke demonstrieren, denken wir, will vielleicht zu den Kälbern, vermuten wir, hält es im Haus nicht aus, ist unser Verdacht. Fabian will zum Jugoslawen, er will mehr wissen über die Kälberzucht, will lernen, wieso Kühe Eutermassagen bekommen, will dem Jugoslawen zuhören bei seinen lustigen Geschichten, die bloß lustig erzählte Geschichten sind.
Während wir den Schafen Heu vorsetzen oder uns um unser eigenes Abendessen kümmern, während wir vor Schulaufgaben sitzen und vom Försterjungennacken träumen, während wir Radionachrichten hören und dazu ein wichtiges Gesicht machen, setzt sich Fabian nach dem Kälbertränken auf eine der großen Milchkannen und schaut dem Jugoslawen bei der Arbeit zu. Der Jugoslawe, der eigentlich Mirko heißt.
Vierzig Liter warme Kuhmilch unter sich fragt Fabian Herrn Mirko aus, erfährt, dass er auf exakt der Menge Milch sitzt, die eine Kuh am Tag gibt. Fabian muss lachen, weil er immer lachen muss, wenn Herr Mirko etwas sagt, wenn Herr Mirko sich über die hiesigen Bauern lustig macht. Herr Mirko muss dazu keine Dorfgeschichten erzählen, es reicht, dass er Stimme und Sprache verstellt. Und weil er gar nicht damit aufhören will, kann Fabian gar nicht mehr aufhören mit Lachen.
Herr Mirko erklärt, dass er Kälbchen spielt, wenn er Berta und Lisa und Flora massiert, dass ein besseres Kälbchenzungenimitat mehr Milch gibt, und Fabian lacht.
Herr Mirko zeigt, wann man die Melkmaschine anhängen darf und wie das funktioniert, und Fabian lacht.
Herr Mirko erzählt von seiner Heimat, und dass er da nie mehr hinwill, und Fabian lacht.
Herr Mirko sagt, Fabian dürfe alles werden, nur
Weitere Kostenlose Bücher