Land Spielen
fahren!« »Kann ich doch!« »Mama, sag Fabian, dass er lügt.«
Vera sagt nichts, auch später nicht, als die Kinder im Bett sind, auch am nächsten Tag nicht und auch nicht, als endlich Schnee fällt, denn jetzt kehrt Ruhe ein, und warum soll ausgerechnet sie es sein, die den Familienfrieden infrage stellt.
Der Winter ist still, lang und leer. Moritz scheint seine Affäre unterdessen besser zu tarnen, wir bleiben unbesucht. Wir scheinen abgeschnitten von der Welt: Während unser Haus im Sommer mitten im Epizentrum von Arbeit liegt und auf den Nachbarfeldern große Gerätschaften knattern, Bauernfamilien einsilbige Kommandos hin- und herrufen, Stumpen- oder Güllegerüche zu uns herübergeweht werden, erkennt man im Winter, wie abgelegen wir wohnen. Die Dächer der umliegenden und weit entfernten Häuser sind weiß, die Häuser also kaum erkennbar. Die Wiesen gehören nur uns, wir betrachten sie, rodeln darauf oder schmücken sie mit Schneeengeln.
Endlich gilt wieder Regel Nummer eins: Wir sind wir. Denkt Vera, die die Ruhe mag.
Während die Zeit vergeht und Moritz immer unruhiger wird. Er hält die Isolation nicht aus. Wenigstens ein paar Verbündete brauchen wir, wenigstens einen. »Den Dorfpfarrer meinetwegen«, sagt er, kurz bevor er das Licht im Schlafzimmer löscht, und Vera erschrickt und schweigt.
(Winter)
Nach ihrer unerhörten Liebes- und Fluchtbereitschaftsbekundung ging Christine erstaunlich gelassen nach Hause. Mit einer allumfassenden Leere im Kopf setzte sie sich an den Küchentisch, horchte nach unten, die Schüler schienen ruhig zu arbeiten, kein Geschrei, das nach oben drang, war zu hören. Christine wartete darauf, dass Andreas die Mittagspause verkünden und in die Lehrerwohnung kommen würde. Sie wartete und auf einmal hatte sie dieses Gefühl von Klarheit, das sich ausbreitete, das die Leere verdrängte. Diesmal würde sie nicht zusammenbrechen, sie würde weitergehen, weitermachen, den Aufbruch eben anders wagen, viel zu lange hatte sie sich abhängig gemacht von einer Schwärmerei. Sie sah klar. Sie öffnete den Putzschrank, in dem sich das Altpapier stapelte, ging den Stapel veralteter Zeitungen durch, bis sie die letzte Samstagsausgabe in den Händen hielt, Stelleninserate gab es nur einmal die Woche. Sie blätterte auf die richtige Seite, überflog das magere Angebot, wühlte auch noch die Zeitung der Vorwoche hervor.
Es war unwahrscheinlich, dass die einzige Stelle, um die sie mit dem Kugelschreiber einen Kreis malen konnte, auch tatsächlich noch frei war. Eine langweilige Sache, Sekretariatsaufgaben, Voll- statt Teilzeit, aber für den Kinderhort im Hauptort, vielleicht würden sich ja Möglichkeiten ergeben, später intern zu wechseln, und überhaupt war der Anruf nur ihr Beweis vor sich selbst, dass sie es auch ernst meine mit dem Neuanfang.
Als Andreas nach oben kam, traf er seine Frau, die in der Küche herumhibbelte, die sagte, es habe geklappt, die fragte: »Liebst du mich noch?« Und dann: »Ich kann mich morgen vorstellen gehen, bin ich nicht die Beste?!«
Die nächsten Wochen verlaufen rasend, helfen, den Zusammenbruch aufzuschieben. Die Stelle im Hauptort ist anstrengend und anspruchslos zugleich, Christine bekommt sie auf Anhieb, scheint die einzige Bewerberin gewesen zu sein. Nun fährt sie jeden Morgen im Lehrerauto hin, Andreas bleibt allein zu Hause, empfängt allabendlich seine abgekämpfte Ehefrau, die über idiotische Datenbankprogramme und stupide Abtippaufgaben klagt. Dafür sei sie nicht Kindergärtnerin geworden. Aber sie werde jetzt Geld scheffeln, dann könne man sich irgendwann etwas Richtiges leisten und man könne alte Pläne wieder ausgraben von Teilzeitarbeiten und irgendwann wolle man ja ein Eigenheim und nicht bloß eine Wohnung, die es zur Stelle umsonst dazugibt. Und Andreas und Christine schlafen wieder miteinander. Über Kinder reden sie nicht, dafür immer konkreter davon, hier wegzugehen, von vorne anzufangen.
Das Gefühl der Klarheit hält an, trotz nerviger Mitarbeiter, trotz zu langen Arbeitswegs, trotz des Gefühls der Langeweile, gegen das sie alltäglich zu kämpfen hat. Christine fragt Andreas, was er denn wolle im Leben, Andreas antwortet ausweichend, er fürchtet sich wohl, das Falsche zu sagen. Erst als sie insistiert, sagt er, dass er lieber in der Stadt wäre, dass sie mehr Freunde bräuchten, überhaupt mehr Menschen, dass er sich isoliert fühle. Christine fragt, ob sie ihm denn nicht genüge, sie bemüht sich, dass sich ihre
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