Land Spielen
Drehung um die eigene Längsachse auszugleichen, versucht, den Kopf in der Senkrechten, den Blick in der Waagerechten zu behalten. Man kippt den Körper weiter, der Hühnerkopf bleibt aufrecht. Hat man das Tier auf dem Rücken gedreht, ist die Grenze der Halsdehnbarkeit erreicht, der Kopf ist nicht mehr in der Senkrechte zu halten, der Hühnerhorizont kippt, das Huhn verliert das Bewusstsein, der Hühnerkörper erschlafft.
Wir kennen also scheintotes Federvieh, aber ebenso gern wie Hühnerausschalten spielten wir Erwecken, nahmen die schlaffen Hühnerköpfe in die Hand, richteten sie wieder auf, riefen die Hühner wieder zur Besinnung, schüttelten sie notfalls, aber schüttelten sanft. Wir beobachteten, wie das Leben in die Hühneraugen zurückfand, wie die Tiere verwirrt ihren Weg zum Sandbad fortsetzten.
Aber dieses Huhn hier wird nie mehr baden, höchstens in Einzelteile zerlegt in Suppe oder Sauce. Vielleicht auch in unseren Magensäften, falls wir es über uns bringen, die Überreste unserer ehemaligen Augenweide hinunterzuschlucken.
Jetzt schauen wir nicht mehr in Hühneraugen, denn wir wissen: Hierhinein wird kein Leben mehr finden. Noch ist die Verurteilte zwar erst betäubt, aber das Urteil des Schauprozesses ist unverändert, der Henker hebt das Beil. Ada senkt den Blick. Vera hält sich die Ohren zu. Fabian vergisst das faszinierte Starren und schaut in eine Ecke. Ralf hat sich längst umgedreht, denkt sich weg von diesem Spektakel. Der Zuschauer, für den die Aufführung bestimmt ist, behält den Schlachter und jeden seiner Handgriffe im Auge, seine Lippen werden schmaler, die Mundwinkel ziehen sich leicht nach unten, drücken Ekel aus, versuchen aber hauptsächlich, ein amüsiertes Grinsen zu verstecken. Das Beil saust nieder, trifft den Hühnerhals direkt unter dem Kopf, als wäre die Geste lange trainiert und nicht bloß angelesen. Aus Büchern kennen wir die folgenden Schritte, die schnell zu passieren haben, weil sich die Tote jetzt nochmals kopflos aufzubäumen versucht. Moritz legt das Beil beiseite, hält den zuckenden Leib mit beiden Händen fest, hält ihn halsüber über den Eimer. Das Blut verlässt stoßweise den Hühnerkörper, der Hühnerkopf liegt noch auf dem Hackklotz, zuckt hilflos auf und ab, der Kopf ist zum Fisch geworden, hier an Land wird er sterben.
Ekel befällt uns, aber wir starren auf das Vogelkopffischmonstrum, das vom Pflock aus in den danebenstehenden Eimer und somit ins eigene Blut zu springen droht. Dann verebben die Bewegungen. Auch der Rumpf hat ausgeblutet, der Mörder schaut kurz in die Runde der Augenzeugen. Er nimmt einen Strick, bindet ihn der Geköpften um die Beine, hängt die Leiche an einen Nagel in der Mitte des Scheunentürrahmens. Das Huhn baumelt auf Augenhöhe des Schlachters, noch ist sein und unser Leiden nicht beendet.
Moritz zieht den zweiten Eimer zu sich, stellt sich breitbeinig vor das Federvieh, das bald nur noch Vieh ist. Nachdem es schon den Kopf verloren hat, muss es sich jetzt mit jeder kurzen, zackigen Bewegung des Hühnchenrupfers von einer weiteren Feder trennen. Erst sind es die großen, die entgegen der Wuchsrichtung aus der Haut gerissen werden. Sind die Körperteile noch warm, rupft es sich leichter, also machen sich die kräftigen Hände als Erstes an fleischarmen Stellen am Kleid zu schaffen, am Bürzel, an den Flügeln und den Beinen, arbeiten sich dann in Richtung Brust vor. Immer rhythmischer, immer schneller werden die Griffe, wir denken an die Bauern, die wir beim Melken beobachtet haben. Federn und Daunen segeln zu Boden, landen bloß teilweise im Eimer, breiten sich auf dem Steinfundament aus oder bleiben an den blutigen Gummistiefeln von Herrn Holle kleben. Bis es endlich aufhört zu schneien und vom Huhn nur noch Gänsehaut zu sehen ist.
»So«, sagt unser Hühnerbezwinger.
Es ist das erste Wort, das ein scheinbar stundenlanges Schweigen durchbricht. Moritz nimmt das Huhn vom Haken. »Dann müssen wir das jetzt bloß noch ausnehmen«, sagt er.
Und an den Gast gewandt fügt er hinzu: »Du bleibst doch zum Essen?«
*
Dass Vera wenig Worte machen kann, bringt sie den Dorfleuten nahe (aufgerissenen Mündern ziehen diese vielsagende Blicke vor, sie werden ausgetauscht, wenn man vor dem Hirschen steht oder hinter dem Dorfladen vor der Milchzentrale, wo die Bauern erste Morgenzigaretten in die Milchlachen werfen), doch dass Veras Gabe im Familienkreis ungehört bleibt, macht sie je länger, desto unsichtbarer.
Gehör
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