Land Spielen
Stimme nicht nach oben schraubt, sie macht ein sachliches Gesicht. Andreas sagt: »Natürlich, darum geht es doch nicht«, schiebt nach: »Wieso, was willst denn du?«
Christine sieht klar, sieht, wie sehr sie sich abhandengekommen ist in den letzten ein, zwei Jahren, spricht davon, dass sie wieder mehr auf sich hören müsse. Sie schimpft am Morgen auf das frühe Aufstehen, auf Stress und Langeweile bei der Arbeit, die sie vom Eigentlichen abhalte, aber nicht erfülle, Christine versucht, nicht zu genau zu überlegen, was dieses »Eigentliche« eigentlich sein könnte. Sie genießt die Ruhe im Auto, wenn sie über die Dörfer fährt, durch den Wald die Landstraße lang, im Hauptort schaut sie sich über Mittag nach Wohnungen und Häusern um und nimmt dann doch keinen Besichtigungstermin wahr, die Frage Hauptort oder Stadt ist noch immer ungeklärt.
Dann endlich spricht sie das Kinderthema wieder an. Man sollte die Abklärungen über die Ursache ihrer Aborte fortsetzen, diese Gentests, von denen die Ärzte erzählt hätten. Sie schreibt sich eine Nummer auf, wo man anrufen und einen Termin vereinbaren sollte, sie legt den Zettel auf den Küchentisch. Andreas schaut sie fragend an. »Vielleicht ist es doch noch nicht der richtige Zeitpunkt«, sagt er. »Wann ist es denn der richtige Zeitpunkt?«, fragt sie.
Wenn Christine von ihrer Arbeit nach Hause kommt, fühlt sie sich ausgelaugt, sie fragt Andreas kurz nach seinem Tag, er antwortet knapp, seine Tage sind wie immer, Christine scheint sich nicht wirklich für Details zu interessieren.
Christine sieht klar, sie muss reinen Tisch machen, sie erzählt von Moritz, erzählt, dass da nichts gewesen sei, sagt, dass es nicht an ihr gelegen habe, sagt, dass sie selbst nicht verstehe, wo dieser Drang in ihr herkomme, immer alles kaputtzumachen. »Aber ich würde mir doch keinen anderen suchen, wenn hier alles in Ordnung wäre.« Dann weint sie und Andreas fragt: »Wieso
immer
«? Er sagt: »Es war ja nichts.« Und: »So was kommt vor.« Christine fragt: »Warum kann ich nicht einfach glücklich sein? Wie andere Menschen?«
Und als Andreas das Thema Moritz nach diesem Gespräch mit einer abschließenden Handbewegung vom nun reinen Tisch wischt, es ein für alle Mal darunterkehrt, wirft sie ihm vor, dass es ihm offensichtlich immer gut ginge. Ihm sei immer alles egal. Nichts berühre ihn wirklich. Da endlich rückt Andreas mit der Sprache raus, spricht von seiner Arbeit, die er hasse, von den sechs Klassen, die ihn überforderten, davon, dass er überlege, den Job gänzlich hinzuschmeißen, er wolle sich weiterbilden. Am liebsten studieren gehen. Und Christine sagt: »Dieses Gespräch hätten wir schon vor Jahren führen sollen.«
Und das Gefühl von Klarheit bleibt. Noch immer kein Zusammenbruch. Die beiden schmieden Pläne: Als Erstes den Job kündigen – klar bedeute das wohl das Ende der Dorfschule, aber darum müssten sie sich nicht scheren, jetzt gehe es um sie beide – dann Erspartes zählen, in der Stadt fände Christine bestimmt eine Stelle, und Andreas könne ja Stellvertretungen machen.
Ja, dann eben Neuanfang, den neuen Schwung muss man ausnutzen. Christine fährt zur Arbeit, ja, wenn es hier nicht geht, dann muss man eben gehen.
*
An Wochentagsvormittagen haben selten alle von uns frei, mindestens einer der Geldverdiener ist meist beim Geldverdienen, der andere kümmert sich um Liegengebliebenes, das meist Schulpflichtige liegen ließen. Diese gehen vormittäglich zur Schule, kommen frühestens mittags nach Hause, wo sie auf Essen warten, das von jemandem zubereitet sein will. Heute winken die Erwachsenen den Kleineren von uns ausnahmsweise zu zweit hinterher, die Hausarbeit erledigt sich doppelt so schnell, noch sind die Tiere schneebedingt in der Scheue, auch Vera und Moritz sehen wenig Grund, das Haus nach der Fütterung nochmals zu verlassen. Vera ist froh, dass sie heute nicht zur Arbeit muss, sie müsste zu Fuß hingehen, das rote Mofa steht im Nachbardorf, Schnee und Salz haben ihm offensichtlich zugesetzt, Vera musste es erst in die Werkstatt schieben, musste erklären, dass man ihr Fahrzeug doch bitte so schnell wie möglich reparieren solle. Der Mechaniker murrte, nannte das rote Gefährt einen Schrotthaufen. Als er es uns seinerzeit verkaufte, nannte er es noch ein Schnäppchen.
Heute bleiben Moritz und Vera im Haus, der Ofen ist an, denn obwohl er oft totgesagt wurde, funktioniert er noch, nur Anfeuern ist manchmal schwer, verursacht Krebs
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