Land Spielen
einen Verbündeten einlassen, wie kann er es wagen, uns hier die Leviten zu lesen? Er soll sich lieber Sorgen machen um seine Frau, oder um das Dorf, das er im Stich zu lassen plant.
Er mache sich Sorgen, sagt Andreas: »Stimmt etwas nicht?«
Moritz kann Einfühlsamkeit noch weniger leiden als direkte Kritik, er steht vom Wohnzimmersofa auf, fragt Andreas, ob er auf irgendetwas hinauswolle, ob er deswegen gekommen sei.
Andreas spielt ganz den geduldigen Dorflehrer, lässt sich von Gegenattacken nicht aus der scheinbaren Ruhe bringen. Er, Andreas, sei doch nicht blöd, er wisse doch, dass hier nicht immer alles so einträchtig zu- und hergehe, wie er, Moritz, immer tue. Aber das gehe ihn ja nichts an. Nur: Wenn einer seiner Schüler plötzlich seine Hefte vollkritzelt mit irgendwelchen Schusswaffen und wenn dieser Schüler in einem Aufsatz zum Thema »Was ich einmal werden will« bloß Unzusammenhängendes über einen Bürgerkrieg schreibe, orthografisch bedenklich, aber darum gehe es jetzt ja nicht, aber Bürgerkrieg, das sei doch ein Bild, das sei doch offensichtlich. Bürgerkrieg. Damit sei doch die Familiensituation gemeint. Er, Andreas, sei ja kein Psychologe, aber … Er lässt das Satzende offen, Moritz soll seine Schlüsse selbst ziehen.
Doch unser Redner hat anderes vor, hatte während der Dorflehreransprache genügend Zeit, um Kräfte zu sammeln. Was er sich eigentlich einbilde, fragt Moritz in sanftem Ton, da komme »der Herr Lehrer« also hierher und wolle irgendeine Familienkrise aufdecken, ein Bürgerkrieg, klar, das liege wahrscheinlich daran, dass er, Moritz, seine Kinder schlüge, schon klar, gut kombiniert, Herr Ich-bin-ja-kein-Psychologe-aber. Und ach ja, das sei natürlich ein berechtigter Verdacht und ach ja, der gehe ja noch weiter: »Wie war schon wieder das Wort, das Ralf heute Morgen benutzte?«
Der Dorflehrer hat keine Lust auf rhetorische Tricks und Wer-hat-recht-Spielchen: »Beruhig dich«, bittet er Moritz, »darum geht es doch nicht.« Es sei doch klar, dass er hierherkommen müsse nach so einem Vorfall wie heute Morgen, das sei Dorflehrerpflicht. Aber er sei doch hier als Freund, und als solcher frage er sich eben: »Ist alles in Ordnung bei euch?«
Wir mögen den Dorflehrer nicht, Moritz bedankt sich dennoch freundlich fürs Nachfragen, sagt: »Ja«, fragt: »Sonst noch etwas?«
Andreas schaut ihn an, schüttelt den Kopf, nicht als Antwort auf die Frage, sondern über das Verhalten des Fragers. Er steht auf: »Ich weiß nicht, was du für ein Problem hast«, und wendet sich zum Gehen.
»Und bei euch?«, fragt Moritz.
Er fragt hämisch, er ist in Angriffslaune, er mag keine Reinquatscher, er mag sich nicht sagen lassen, wie es um den eigenen Familienfrieden steht. Er mag es nicht, wenn ihm Probleme angehängt werden von einem, der selbst genügend hat.
»Lass gut sein, Moritz.«
»Nein, im Ernst, ich dachte, du kommst als Freund und nicht als Dorflehrer.«
»Lass es.«
»Nein-nein, nein-nein, ich meine es ernst.«
»Na gut«, sagt Andreas, »ich wollte nicht damit anfangen, aber … Aber weißt du eigentlich, wie es Christine geht?«
Und er fängt nun dennoch damit an, ganz ruhig spricht er, gefasst, als habe er, was er zu sagen hat, lange vorbereitet. Er sagt, dass Christine zurück sei, mehr als einen Monat sei sie in der Psychiatrie gewesen, einen Zusammenbruch habe sie gehabt, sie nehme jetzt Medikamente, sie sei wieder relativ stabil. Aber verändert. Nervös sei sie, zittrig. Doch wieder auf den Beinen. Sie esse wieder, zugenommen habe sie, wohl auch wegen der Medikamente. Sie beide versuchten es nochmals, sagt Andreas. »Und im Sommer ziehen wir weg.« Er habe noch keine Stelle, aber er versuche es im Hauptort. – »Und danke, dass du nachgefragt hast!«
Erst im letzten Satz ließ sich der Sarkasmus nicht mehr unterdrücken, Moritz hört es genau, hört alles andere zum ersten Mal, steht mit offenem Mund da.
»Das wusste ich nicht.«
»Es schien dich auch nicht zu interessieren.«
Dann herrscht Schweigen, Andreas starrt Moritz an, Moritz sucht nach Worten, findet die falschen, sagt: »Und jetzt bin ich schuld, oder was?!«
Andreas bleibt ganz der gefasste Lehrer, obwohl ihm anzusehen ist, dass die Wut in ihm hochsteigt: »Ich weiß doch längst alles.«
»Es gibt nichts zu wissen, denn da war nichts!«
»Du interessierst dich nur für dich, aber es geht hier nicht um dich. Du hättest einmal nachfragen können, was los ist, hättest vorbeikommen können,
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