Land Spielen
packen, wird sagen, dass er schon immer gewusst habe, dass Ralf ein toller Kerl sei, dann wird er ihn fragen, ob er heute die Mannschaften wählen wolle, und damit wäre alles gesagt und das Versteckspiel hätte ein Ende. Die Gruppe würde dem Anführer folgen und uns endlich aufnehmen.
»Er hasst uns. Und ich hasse ihn!«, schiebt Ralf schnell nach.
»Aha, soso«, antwortet der Försterjunge teilnahmslos und greift wieder nach dem Ball.
Ralf weicht zurück.
»Gibst du jetzt den Scheißball oder willst du ein paar Prügel?!«
Ralf spürt, dass ihm die Tränen in die Augen schießen, er beißt sich auf die Oberlippe, presst dann leise hervor: »Hör auf. Hör auf, bitte.« Der Försterssohn schaut triumphierend in die Runde: »Oh, jetzt schaut mal, gleich beginnt er noch zu heulen. Hau doch ab, wenn du ein Problem hast.« Und er setzt noch einen drauf, ahmt Ralfs kläglichen Versuch nach, den hiesigen Dialekt zu sprechen, die Runde lacht mit ihrem Anführer, echot: »Hör auf, hör auf«, meint: Weiter, weiter!
Jetzt laufen tatsächlich die ersten Tränen über Ralfs Wangen. Er steht fassungslos da, schleudert der Runde ein weiteres »Hört auf!« entgegen. Hämisch nimmt der Försterssohn den Satz wieder auf, starrt dem heimlichen Freund feindselig ins Gesicht. Ralf weint, Ralf begreift nicht, warum der Försterssohn so gemein ist, Ralf fragt: »Warum bist du so gemein zu mir?« Er schaut seinem Freund verzweifelt in die Augen, und dann endlich fügt er leise und doch für alle hörbar an: »Wenn du allein bist, bist du ja auch nicht so.«
Der Försterssohn reagiert reflexartig, der Spaß ist jetzt vorbei. Die Schulkameraden reagieren etwas verdutzt auf Ralfs Satz, sehen, wie der Försterssohn nach vorne schießt, sehen, wie er Ralf packt, wie er ihn in den Würgegriff nimmt, wie er ihm den Mund zuhält. Ralf windet sich aus dem Griff, aber der Försterssohn hat die starken Arme des Vaters geerbt, Ralf versucht, ihm in die Hand zu beißen, es gelingt nicht, er wird auf den Boden gerungen. »Halt einfach die Fresse!«, zischt es in sein Ohr.
Ada und Fabian haben dem Treiben bis jetzt aus der Halbdistanz zugeschaut, Rangeleien gab es schon viele auf dem Pausenhof, so ernst wie heute sah es selten aus. Während der Pausenhofchef ansonsten hämische Freude ausstrahlt, wenn er Prügel austeilt oder befiehlt, während er für gewöhnlich lacht, wenn er nach Kämpfen Unterlegenen anerkennendes Schulterklopfen zuteilwerden lässt, ist er heute tatsächlich in Rage, er würgt den Unterlegenen: Dessen Kopf ist nicht mehr bloß vom Weinen rot.
Wir sind ein Team, jeder von uns hat seine Stärke. Ralfs Stärke ist die Erinnerung, heute erinnerte er den Freund bloß daran, dass man Freunde sei, aber diese Gabe scheint nicht gefragt zu sein. Fabians Stärke ist die Stärke, und nach dieser wird jetzt offensichtlich verlangt.
Die Schulkinder haben den Kämpfenden Platz gemacht, stehen im Halbkreis. Der Drittklässler Fabian behält die beiden Fünftklässler im Auge, sie wälzen sich am Boden und haben endlich eine günstige Position erreicht: Der Försterssohn hält Ralfs Hals von hinten mit einem Arm umklammert, hält mit der Hand des anderen Ralfs Mund zu, versucht sich gleichzeitig aufzurichten, streckt dabei das eine Bein durch.
Das ist die Gelegenheit, auf die Fabian gewartet hat.
Er bricht aus dem Halbkreis aus, mit einem gezielten Tritt trifft er die Kniekehle des Würgenden.
Ein Aufschrei, der Försterssohn knickt ein.
Er lässt sein Opfer los, rappelt sich überrascht auf, dreht sich um zum Einmischer, holt Anlauf, um ihm eine zu verpassen. Fabian ist dank der Verwirrung des Gegners überlegen, weicht zurück, und als klar ist, dass der Försterssohn Ralf liegen lässt, um auf den neuen Feind zuzustürmen, hetzt Fabian vom Fußballplatz weg in Richtung Schuleingang. Fabian flieht nicht, er schafft nur Abstand zu den Zuschauern, die ansonsten bald Kriegsteilnehmer werden könnten. Der Försterssohn holt ihn schnell ein, mit Tritten hält ihn Fabian fürs Erste auf Distanz, er ist ein guter Taktiker, seine Nahkampfausbildung erhielt er von seinem Angreifer. Was an anderen Tagen bloß Training war, ist jetzt bitterernst.
Fabian hat die Schultreppe erreicht, hier kann das Gefecht stattfinden. David hat heute keine Steinschleuder, aber hier wächst er dank Treppenstufen selbst zum Goliath. Der Försterssohn will es dem kleinen Wicht zeigen, packt ihn auf der zweiten Stufe an den Füßen, fällt dabei selbst hin.
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