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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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sitzt im Klassenzimmer, die Handflächen vor sich auf der Tischplatte, die Tischplatte rutschig, die Aufregung um ihn groß. Sie äußert sich in einem Erstarren, das sich nach Ralfs Feststellung im Klassenzimmer ausgebreitet hat. Alle, Ralf inklusive, warten auf ein Donnerwetter vom Dorflehrer, nur Fabian kichert in sich hinein. Der Dorflehrer schaut verwirrt, Ralf starrt ihn an, scheint selbst erschrocken über sich. Ralf wartet.
    Der Dorflehrer brüllt nicht, tritt nicht an Ralfs Tisch, packt Ralf nicht beim Kragen. Ralf könnte sich all das vorstellen. Ralf schielt zum Försterssohn, der sich das Schauspiel schweigend wie alle anschaut.
    Siehst du, will Ralf sagen, wir sind auf derselben Seite, nichts habe ich mit diesem Lehrer gemein, es gibt keinen Grund, nicht mein Freund zu sein.
    Pimmellutscher.
    Ralf wartet auf seine gerechte Strafe, kann warten auf seine Belohnung, dennoch zittern seine Knie.
    Pimmellutscher.
    Die Ruhe im Klassenzimmer wird unerträglich, im Dorflehrergesicht bewegt sich noch immer nichts. Dann ist da die Oberlippe, die kurz zwischen die Zähne gesaugt wird, eine kaum sichtbare Geste des Nachdenkens. Dann folgt mit ruhiger Stimme: »Geh vor die Tür.«
    Ohne Ralf zu beachten, der aufsteht, Ralf, der sich beim Aufstehen zum Försterssohn umdreht, der auf ein Zeichen wartet, ohne Ralf zu beachten, der auf etwas hofft, das »Dem hast du es aber gegeben«, das »Respekt!«, das »Das hätte ich schon lange sagen wollen« heißen könnte, ein Lächeln wenigstens vom heimlich Verbündeten, ein verstecktes Zwinkern mindestens, ohne also Ralf zu beachten, der im Gesicht des Freundes nichts sieht als die Verwirrung, die er auf allen Gesichtern sieht, ohne wie gesagt Ralf zu beachten, der nun doch seinen Weg antritt, die Tür öffnet und von außen schließt, macht der Dorflehrer nahtlos da weiter, wo er eben unterbrochen wurde, setzt die Kreide wieder an exakt die Stelle des Rechenbeispiels, von wo er sie abgesetzt hat. Weil er Ralfs Fingerschnipsen hörte, weil er Ralfs in die Höhe gestreckten Arm sah, weil er Ralf erlauben wollte, kurz aufs Klo zu gehen.
    »Ja?«, hat der Dorflehrer gefragt.
    »Herr Lehrer«, antwortete Ralf, »Sie sind ein Pimmellutscher.«
    *
    Wir mögen den Dorflehrer nicht. Er ist uns zu schulmeisterlich, Kleinere von uns schüchtert er täglich mit seiner berufsbedingten Autorität ein, man wehrt sich mit kleinen Streichen, er lächelt uns zu mild dazu, wischt Schmutz und fehlerhafte Beleidigungen mit einem feuchten Lappen vom Lehrerauto. Größere von uns besuchte er früher regelmäßig, steuerte bei der Unterhaltung bloß wenig bei, machte sich lustig über unser Spiel, war bloß Anhängsel der Angetrauten. Und nun will er sich davonmachen, ein Feigling ist der Dorflehrer. Er hätte Ralf ohrfeigen können, stattdessen steht er vor unserer Tür, die obligate Flasche Wein ließ er zu Hause, er kommt in offizieller Mission. Die Kleineren von uns wissen schon, worum es geht, sie verziehen sich in die oberen Räume, legen sich lauschbereit auf die Lauer, hören, wie unser Ältester ihn ins Wohnzimmer bittet, wie er Scherze macht, um das ernste Gesicht des Dorflehrers aufzuweichen. Das ernste Gesicht, das doch bloß antrainiert ist, damit keiner seine berufsbedingte Machtposition untergräbt. Im Dorf funktioniert das bestens, die Dorfbewohner haben Respekt, bläuen ihn ihren Kindern ein. Wir sind da anders, halten nichts von normierten Strukturen, lassen uns nicht ein auf Machtgehabe. Dafür kennen wir den Mann zu gut, wissen, dass er bloß ein Pantoffelheld ist. Das hätte ihm Ralf mal sagen sollen.
    Vera hat Abendschicht, hat ihr Arbeitspensum vergrößert, um uns Mehreinnahmen und einen neuen Ofen zu bescheren, es kommt also zur Aussprache von Mann zu Mann. Ralfs Schimpfwort von heute Morgen kommt aufs Tapet. Moritz lacht auf. Andreas bittet ihn, mit Ralf zu reden. Irgendetwas sei los mit Ralf, er, Andreas, habe das schon länger bemerkt, aber auch Fabian bereite Sorgen, der wolle nichts lernen. »Gut, dass wir noch Ada haben«, entgegnet Moritz sarkastisch, und Andreas, der sich ansonsten zurückhält, kontert: »Ja, Ada. Die auch. Die träumt bloß rum.«
    Nein, wir mögen den Dorflehrer nicht, er hat kein Recht, hier aufzukreuzen, bald wird er wieder in Begleitung kommen, er wird seine Frau mitbringen, die Situation wird seltsam werden, oder man verwehrt ihnen den Besuch, dann wird Vera nachfragen, warum. Nur Probleme macht der Dorflehrer, wie konnten wir uns auf so

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