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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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werden, über den Preis der Verfügbarkeit nachzudenken und ihn einzuklagen, war freilich die Option einer ganz anderen Kategorie von Mensch, von denen die jungen, gebildeten Damen, die auch ihr Sprachempfinden, schwungvoll, tirilierend, mit grammatischem Verständnis, testen wollten, meilenweit entfernt waren. Nein, alles, was er über Frauen in Máximos Hof aufgeschnappt hatte, mußte er bei Charidad restlos vergessen, als hätte er es nie gehört.
    Den Körper einer Frau kennenzulernen, ist eine rühmenswerte Aufgabe. Jede Nacht erweitert sich die Lust um einen neuen Landstrich und der schon umfangreiche Wortschatz um neue Begriffe und Regeln. Unregelmäßige Verben des Körpers, Doppelungen, Symmetrien. Als erstes erlangt man Zugang zur Hand (zu einer Hand!), einem Körperteil, der immer bereit ist, sich hinzugeben, der mit allen möglichen Gegenständen vertraut verkehrt. Jeder Finger bekommt einen Namen, jeder Fingernagel ist einzigartig, jede Falte, jede Ader auf dem Handrücken. Und es ist nicht nur die Hand, die eine andere Hand kennenlernt. Und was erst vom Arm sagen, dem Ohr, der Schulter, den Kniekehlen, alles ist anders, neu, eine Grammatik der Sinne bis in den Schoß hinein. Der Nacken, glücklicherweise, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Alles muß staunend und willig zur Kenntnis genommen werden, keine Form kann mutwillig ersetzt werden. Es ist der Körper dieser Frau.
    Richard Kornitzer staunte, wie schnell er lernte, wie schnell er sich in der fremden Körpersprache ausdrücken konnte und daß er auch die schnell hingeworfenen Sätze verstand, auch Seufzer, eine beruhigende Hand auf seiner Hüfte oder das Knirschen von Fingernägeln auf seinem Rücken verstand er schnell und konnte alle Signale seufzend beantworten. (Man verlernt ja die frühere Sprache nicht, während man eine neue hinzulernt, sagte er sich.) Charidad mußte immer früh aufstehen, die Kinder in der Schule, die Kollegen, der Herr Direktor, die befürchtete Schwatzhaftigkeit, ihre Geheimnisse mit Richard – sie bemühte sich, den Rachenlaut ordentlich zu sprechen und den Geliebten nicht einzugemeinden als einen Ricardo, von denen es viele in Havanna gab. Und als eine Geographie-Lehrerin war sie an Fremdem interessiert, den Flüssen der Adern, dem Schulterngebirge, der Hochebene des Rückens, wenn ihr Geliebter sich vor ihr ausstreckte, Höhenzüge, Driften und Mulden, das Gestein, auch die Bodenschätze einer einzelnen Person waren zu erforschen, nichts war ja bekannt, und da war er, Dr. Richard Kornitzer, eine Art von Kontinent, fremd und weiß, den eine Christoph-Kolumbus-Nacheifererin sorgsam erforschte, Zentimeter um Zentimeter, Felsvorsprung für Felsvorsprung, Haar um Haar in einer Art von Guerillataktik, und er genoß es, wie ihre spinnendünnen Finger, ihre Lippen, ihre Zehen und ihre mageren, aber doch energischen Arme den bleichen, vom Sonnenstich gefährdeten Kontinent in Besitz nahmen. Arme, in denen sie häufig, wenn sie ihn traf, einen Stapel Hefte trug. (Aus denen die frische Tinte tropfte, so kam es ihm vor, frische Tinte, wie anderswo Blut aus einer frischen Schlachtung tropfte.) Prado, Louvre, das hatte sie auch irgendwie gehört, aber die dünnen Finger erkundeten einen Kontinent, der rosafarben war und aufregender als alle, mit denen sie ihre Schüler bekannt machte: den Kontinent ihres deutschen, fremden Geliebten. Charidad war als Lehrerin eine unermüdliche Forscherin, und es war schön, ihr ein Aufbaustudium im eigenen Interesse zu ermöglichen. Sie war eifrig, fand alles Mögliche über den fremden Kontinent heraus, kein Lernen blieb ohne Rückhalt in der lernenden Person, und sie strahlte, protzte schier vor Wissen und Erfahrungsgewinn. Auch Richard lernte ja, er lernte, daß er nicht nur Subjekt war, sondern ein exotisches Menschentier, scheu und seltsam und wunderlich. Paßte er sich an
    1. an die Witterung der Lust;
    2. an die überquellende Freude;
    3. an die klimatische Umstellung der Erregung, bei der er schon aus eigener Initiative viel geleistet hatte;
    4. an den subjektiven Faktor, der zu benennen war, den Neigungswinkel, in dem die Forscherin sich dem Forschungsobjekt näherte und die minimalinvasive Interessenkoalition zwischen dem Überlebensinteresse des Emigranten und einem einzelnen Subjekt (menschlich, weiblich, dem Gastland zugehörig)?
    Das war ihm, seit er ein Emigrant war, noch nicht in den Sinn gekommen. Aber Charidad ließ gar keinen Zweifel daran. Alles war wichtig, wenn man es

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