Landgericht
und die Geschichte insgesamt. Tagträumereien, nutzlose Spekulationen, dagegen helfen Kaltwasseranwendungen.
Während Richard krank ist, übernimmt Claire das Ruder. So sehr wünscht sie sich eine Tätigkeit, eine Tätigkeit, die sie ausfüllt. Sie liest, sie denkt sich in die Personen der Bücher, die sie liest, hinein, das freut sie. Sie wünscht sich, ein Buch zu lesen über einen deutschen Beamten, aber sie findet keines. Mit einem Reclamheft und dem Dorfrichter Adam möchte sie sich nicht zufrieden geben. Jetzt denkt sie sich in ihren kranken Mann hinein, übernimmt eine Aufgabe für ihren Mann, während ihr eigene Aufgaben versagt sind. (Sie muß sich schonen.) Richard kurt, trinkt Wässer, läßt sich durchwalken, bespricht mit dem Arzt seine Panikattacken, und sie spannt ein Blatt in die Schreibmaschine ein, und dann noch ein anderes, es ist ein ausführliches Schreiben, und alles wird perfekt. Sie formuliert, als könnte sie so ein Imperium regieren. „Ich komme höflichst zurück auf das Urlaubsgesuch meines Mannes sowie auf das von unserem Hausarzt diesem Gesuch beigefügte Attest. Daraufhin ist ihm ein Urlaub gewährt worden.“ Sie vertieft sich in Richards Akten und setzt ein feines Schreiben an das Ministerium der Justiz in Mainz auf, ein Doppel sendet sie an den Landgerichtspräsidenten. Sie fürchtet sich vor nichts. „Auf Anraten unseres Hausarztes soll mein Mann während der Zeit seiner Kur sich mit seinen beamtenrechtlichen Angelegenheiten in keiner Weise befassen, das gilt insbesondere für die ganze Wiedergutmachungsangelegenheit im öffentlichen Dienst. Der Hausarzt und ich wollen im Einverständnis miteinander erreichen, daß mein Mann endlich einen gewissen Abstand zu der jahrelangen, bei allseitigem guten Willen unnötigen Quälerei und seelischen Belastung – die Ihnen ja hinlänglich in allen Einzelheiten bekannt ist – gewinnen kann. Ich habe mir von meinem Mann vor seiner Abreise die Vollmacht geben lassen. Ich bin aber erst jetzt an das Aktenstudium herangegangen, weil auch ich selbst einen Abstand schaffen wollte.“ Bei der Durcharbeitung der Akten bemerkt sie, daß der Bericht ihres Mannes vom 28. September des Vorjahres noch nicht beantwortet worden ist. Sie moniert das und bittet außerdem, Stenogrammberichte des Landtages und die Bundesdrucksache Nr. 1937 an sie zu schicken, „da ich diese Unterlagen zur weiteren Information unserer Rechtsanwälte benötige“. Ja, sie ist sehr selbstbewußt, obwohl sie geschwächt ist und die Schwächung ihres Mannes sie schmerzt.
Währenddessen verfertigen der Oberlandesgerichtspräsident, der Landgerichtspräsident, ja, genau der neue, vor dessen Ernennung Kornitzer aus dem Grundgesetz zitiert hat, und der Vizepräsident das Richterverzeichnis 1957 mit
Äußerungen über Befähigung, dienstliche Leistungen, Gesundheitszustand, Führung und Charakter der Richter. Dr. Kornitzer
, heißt es darin,
ist ein überdurchschnittlich befähigter Richter mit guten, umfassenden Rechtskenntnissen, vor allem auf zivil- und handelsrechtlichem Gebiet. Er verfügt über ein sicheres Urteilsvermögen. In früheren Beurteilungen sind sein praktischer Blick und sein großes Verständnis für die wirtschaftlichen Zusammenhänge hervorgehoben, außerdem ist vermerkt worden, daß unter seiner Leitung die Zivilkammer manche grundsätzliche Entscheidungen gefällt habe, die auch der Nachprüfung in den oberen Instanzen standhielten.
Im Ganzen kann die frühere günstige Beurteilung seiner Leistungen nicht aufrecht erhalten werden. Ob es sich um einen vorübergehenden Rückgang seiner Leistungsfähigkeit handelt, hervorgerufen durch die Aufregungen, die Landgerichtsdirektor Kornitzer in Verfolgung seiner Entschädigungsansprüche empfunden hat und noch empfindet, und eine Steigerung der Leistungen nach Abklingen der Aufregungen erwartet werden kann, läßt sich zur Zeit nicht eindeutig beantworten. Die dienstliche und außerdienstliche Führung des Richters war einwandfrei; sein Gesundheitszustand war, wie schon bemerkt, im Berichtszeitraum beeinträchtigt
.
Während Claire mit Eifer für ihren Mann tätig ist, ist er, entgegen dem ärztlichen Rat, für sich tätig. An den Abenden im Krankenzimmer sitzt er am kleinen Besuchstisch mit der Resopalplatte und schreibt. Gestochen scharf ist seine Handschrift, er schreibt Eingabe um Eingabe. Er kommt zurück nach Mainz, er weiß nicht, was in seiner Beurteilung steht, er weiß nicht, daß er mit dem Rücken zur Wand
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