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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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doppelten Sims zwischen Erdgeschoß und erstem Stock und einem dreiteiligen Fenster im Dachgeschoß. Auch dieses Gebäude hatte Sandsteinumrandungen der Fenster und Türstürze. Eine protestantische Pfarrkirche mit einer breiten Turmhaube, zwei katholische Kirchen: Herz Jesu und St. Nikolaus, eine mit einem eingestürzten Dach, die andere mit handschriftlichen Spendenaufrufen für den Wiederaufbau vor der Tür, das schien ihm etwas viel. Aber sich darüber zu erheben, war unangebracht. Die Friedhofskapelle hatte einen heftigen Treffer abbekommen, eingeknickt lag das Türmchen auf einem Gräberfeld. Auch auf der Hauptstraße gab es Zerstörungen, eine schwarze Schneise, die die Brände gerissen hatten.
    In der Nähe bäuerliche Anwesen mit einer kleinen Landwirtschaft, einem Misthaufen und einer Handvoll scharrender Hühner, die Gemarkung hieß: Auf dem Großen Sand. Er ging aus dem Ort hinaus, an einem Gemüsefeld entlang, ging auf einem Feldweg, der auf ein Wäldchen zu führte. Auf der Wiese erkannte er den Roten Storchenschnabel, die violette Schwarzwurzel, das gelbe Sandfingerkraut und Salzkraut, eine schöne in die Mulde gedrückte Mischung, daran war nichts zu deuteln. Er roch auch noch die Blüten der Küchenschellen, der Sandwolfsmilch, sah das Liesch. Das Knabenkraut schoß hoch auf, mit feinen rosafarbenen Trichterblüten. Nein, die Aufmerksamkeit veränderte sich nicht, wurde nur zögerlicher, Kornitzer streckte alle empfindsamen Antennen aus.
    Als er den Fuß abseits des Weges auf den Sand gesetzt hatte, merkte er: Nein, keine Natur, Natur tat ihm nicht gut, öffnete, ließ zerfließen, was er in sich selbst zusammengezurrt hatte. Zusammengebissene Zähne, Muskelanspannung, der ganze innere Haushalt brauchte eine Struktur der Festigkeit. Und auf Sand schien die ganze vorstädtische Angelegenheit gebaut zu sein, Teil der Gemarkung des Großen Sandes. Als er seinen Ausflug ankündigte, hatte jemand im Gericht ihm gesagt, hier sei einmal ein militärisches Übungsgebiet gewesen. Sand der Zeit rann durch den Ort hindurch, ein Sandsturm, gegen den die Häuser sich nicht abdichten konnten. Hier und da hatte ein Haus Fensterläden, also vielleicht ein intimes Geheimnis.
    Er ging wieder zum Ortsausgang, ein Wäldchen, eine Aussicht auf eine Bodensenke, Wiesenschaumkraut und wieder Apfelbäumchen, Streuobstwiesen, ein vorstädtisches Auslaufmodell, aber war es schon ausgelaufen, oder wann würde es auslaufen, vielleicht nie. Eigentlich wollte er mit diesem Ortsteil im Norden der Stadt nichts zu tun haben, es zog ihn ins Landgericht zurück. Er stieg in die Straßenbahn, fuhr drei, vier Stationen und stieg wieder aus, dort wo er die hohen Schornsteine gesehen hatte, einige waren zerstört, Trümmer ragten in den Himmel, hohle Zahnstümpfe. Eine Glasfabrik, Metallwerke und der beißende Geruch aus einer Fabrik, die Schuhwichse herstellte, er sah ein Medaillon mit einem Frosch in gespannter Hüpfstellung, das Maul sehr breit, er hatte eine Krone auf dem Kopf. Ein Froschkönig, der über ein Regiment gut geputzter Schuhe herrschte, und keine Prinzessin weit und breit. Er sah die Brückenpfeiler am Fluß: zerstört. Kinder ließen Steine über die Oberfläche des Flusses hüpfen. Auf den Bahngleisen am Fluß entlang rumpelte ein langer Güterzug. Er roch die Kläranlage, den Muff der Lagerhallen, Arbeiter gingen durch das Tor, mit der Gewißheit, eine Arbeit zu haben, als hätte diese Arbeit nicht bei einem einzigen Bombenangriff zunichte gemacht werden können. Und die, die diese Arbeit verrichteten, dazu.
    Wieder im Landgericht, begann er im Geschäftszimmer ein Urteil zu diktieren, es klopfte, und Landgerichtsrat Beck stand in der Tür. Darf ich Ihnen Rechtsanwalt Damm vorstellen? Er hat schon zweimal nach Ihnen gefragt. Aber da waren Sie nicht im Haus. Kornitzer gab sich Mühe, seinen Halbsatz ordentlich zu Ende zu bringen, während Beck die Augen zusammenkniff, als wäre er geblendet, und seine Augenbrauen bildeten einen waagerechten Strich. Und noch ganz in Gedanken nickte Kornitzer Beck zu und streckte dem Gast eine Hand entgegen. Damm, der ihn schriftlich vor Mainz gewarnt hatte. Da sah er: Die Hand des Rechtsanwaltes rührte sich nicht. Sie steckte in einem schwarzen Lederhandschuh, darunter eine starre Prothese, und Damm gab ihm seine linke Hand und sagte: Im Landgericht Littenstraße in Berlin, das war eine schöne Assessorenzeit. Er bleckte dabei ein großes parodontöses Gebiß mit freistehenden

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