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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Freiwillige zum Schippen hätte die Straßen in so kurzer Frist wieder betretbar gemacht.
    Es ist nur ein Schnuppern, sagte sich Kornitzer, während er aus dem Fenster der Straßenbahn schaute, er nahm die Witterung auf, begab sich hinein ins Vorstädtische, und er hatte in der Tat keine Alternative. Er sah sich den Stadtteil an, der nicht so übel war auf den ersten Blick, und brauchte doch eine Bedenkfrist, die auch eine Schonzeit war, sich in die Kleinteiligkeit einzulassen, sie wie ein Brotbrechen zuzulassen. Kornitzer war Protestant geworden unter Umständen, bei denen an ein Protestieren nicht mehr zu denken war, das Zulassen, die Liberalität war ihm nicht fern. Aber das war keine Haltung, kein Flaggensignal, das man im Vorhinein aus dem Fenster wehen lassen konnte: Ich bin einverstanden mit allem, was geschieht. Ich ergebe mich. Man mußte abwarten, man mußte zögern und auch der energischen Frau des Zuzugsberechtigten, der zuzugsverpflichteten Person (so genau ging dies aus den Papieren nicht hervor) ins Gewissen reden: Überleg dir das. Überstürze nichts. Bleib, wo es dir einigermaßen gut geht. Er bewegte sich auf einem Terrain, das unbekannt war, und die Nachrichten, die den Wohnungssuchenden und Wohnungsberechtigten, in diesem Fall wie so häufig den Mann, einigermaßen in Verwirrung stürzen mußten, mußten für die Frau noch einmal gefiltert, vielleicht umgeschrieben werden. Und die Verwirrung war nicht schlecht, sie war ein Wirbel und ein Schweigen und ein Atemholen zugleich. Ein Denken des Mannes an die Frau, ein entmutigendes Denken, ein verzweifelndes Denken, nicht, wie man sich normalerweise das Denken eines Mannes an seine Frau vorstellt, die er so lange nicht gesehen hat. Ein Stöhnen vielleicht, eher ein weiträumiges Einlenken, ein Denken, das der Sprachlosigkeit nur zögernd entgegenkam. Ein Tasten, das mit einem Denken nur noch so ungefähr korreliert, besser noch: ein Tappen im dürftig erhellten Lichtraum.
    Starke Schultern, die die Schwäche, die vorstädtische Kläglichkeit vergessen machen wollen, aber etwas ist doch zum Weinen, man müßte es nur tun oder zu tun wagen, ohne den Schaden am eigenen Gemüt benennen zu können. Wenn das eigene Gemüt nicht vor überkommenem Hochmut strotzte. Wenn das eigene Gemüt nicht auch ein Zähnezusammenbeißen wäre auf einer Ebene, die sich dem Gemütsmenschen nicht wirklich erschließt. Darüber muß geschwiegen werden wie über Mißmut. Die Stimme, die zu schweigen gelernt hat, zieht sich zurück in einen dunklen, grollenden Bereich, das Kinn, das sich über die kleine Erbärmlichkeit reckt, reckt sich doch nicht zu hoch, dann muß eine Schauspielerhaftigkeit erfunden werden, eine leise, vornehme Demutshaltung, die vom Eigenen absieht und das Fremde als fremd, irrtümlich doch als vertraut empfindet. Aber die Häuserchen, der vorsintflutliche Stadtteil im Norden der Stadt.
    Eine freundlich ergebene Geducktheit, Gedrängtheit von Anfang an. Häuser aus gelbem Backstein, am Giebel und im Sockelband ein Zickzack aus rotem Backstein, eine Schmucklinie wie auf einem Norwegerpullover, eine freundliche Aufmunterung, hier geht’s aufwärts, aber da auch wieder abwärts, so ist es nun mal. Gelbe Ziegel, rote Ziegel, ein Baumeister im Jahr 1898 konnte das aus dem Effeff. Der Rhythmus des Gehens ließ den Gedanken an eine Öffnung nicht zu. Für ein Vorgärtchen ist in der Gasse kein Platz. Die Gasse ist so lang oder so kurz, daß man in ihr anhaltend husten, also nicht unhörbar bleiben kann, unsichtbar vielleicht, wenn man sich geschickt, den Tageszeiten entgegengesetzt, bewegte. Aber das war ein Schutzgedanke, ein andere Gedanken überdeckender Gedanke, den Kornitzer eigentlich nicht denken wollte. Ein Gedanke, der eine Empfindung versteckte. Und diese Empfindung hieß: Oh nein. Oder war sie einfach sprachlos, wie losgelöst von jeder aktuellen Wahrnehmung?
    Alle Fenster und Türen hatten rote, verwitterte Sandsteinumrahmungen. Hinter den Fenstern dichte Gardinen, Verschlossenheit, Verschrobenheit, nur hier und da wurde an einer Gardine genestelt, als Richard Kornitzer durch die Gasse ging. Häuserchen wie Mausezähne, ein Erdgeschoß und ein Obergeschoß und ein Dachstübchen mit dem Fenster in den Giebel hinein, zwischen Giebel und Dach die Halterung für die Fahnenstange, ein Rohr wie ein Ausguß, ein billiger Wasserspeier, aus dem die Gesinnung schoß. Kornitzer konnte nicht umhin, sich die roten Fahnen mit dem Nazi-Emblem in der Gasse wehend

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