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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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unsinnig, wenn Georg,
studying for a scholarship in Cambridge
, so kurz vor dem Abschluß nach Deutschland ginge, und wohin, bitte schön? Zu seinem Vater, zu seiner Mutter? Daß die Eltern nicht zusammenlebten wie die Hales, wie eine normale Familie, das hätten die Kinder doch verstanden. Das beruhigte – ein wenig, und auch das Landleben, die Ernte, die Pflichten, die beide in Haus und Stall hatten, beruhigten. Bis ein Brief aus Mainz kam, mit einem Gerichtsbeschluß, daß das Ehepaar Hales Selma unverzüglich nach Mainz bringen mußte.
I refuse to go
, sagte Selma, aber Mrs. Hales erklärte ihr, daß es keine Chance gebe, solange sie minderjährig sei, daß ihre Eltern wenigstens so vernünftig gewesen seien zu begreifen, daß Georg, den sie von Anfang an
George
genannt hatten, seine Schule in England beenden müsse. Ich reise mit dir, versprach Mrs. Hales Selma. Das machte die Sache nicht besser: Mrs. und Mr. Hales hatten versprochen, nichts ändere sich, adoptiert oder nicht, jetzt kämpften sie nicht, sondern fügten sich, resignierten. Es war wie ein riesiger Betrug, ein gewaltiger Aufruhr, in den Selma sich gestürzt fühlte. Sie war zornig und eifersüchtig auf ihren Bruder, auf sein Privileg. Nur weil er älter war, durfte er bleiben. Und er, der die wichtigste Person in ihrem Leben geworden war, konnte ihr nicht helfen. Im Gegenteil: Er entfernte sich, während sie ihn verlassen mußte.
    Es war eine unendlich lange Reise, so kam es Selma vor. Mrs. Hales tat alles Mögliche, um sie aufzuheitern, aber sie starrte finster in sich hinein. Schon der Beginn war demütigend genug gewesen. Mrs. Hales konnte Selma nicht einfach auf ihren Paß eintragen lassen, wie wenn sie sie hätte adoptieren können. Selma brauchte einen eigenen Paß, ein
travelling paper
. Nach vielem Hin und Her stellte das
Jewish Refugee Committee
Selma ein ellenlanges Papier aus:
Person of No Nationality
stand in großen Buchstaben darüber, Visastempel verzierten es. Das Papier war so exotisch, daß die Grenzer am Hoek van Holland es hin und her wendeten, staatenlose Leute reisten nicht, hatten irgendwo in dem ihnen angewiesenen Winkel zu sitzen, bis sich die Verhältnisse wieder änderten. Aber das Kriegsende hatte die Verhältnisse noch einmal geändert, und die ordentlichen Grenzbeamten mit Mütze und Achselklappen hatten die Bedingungen nicht wirklich mitbekommen. Sie schalteten ihre Vorgesetzten ein, das dauerte, die Vorgesetzten trugen Verantwortung, auch das Tragen von Verantwortung dauert, es muß dokumentiert werden. All das hatte zur Folge, daß Mrs. Hales und Selma den Anschlußzug verpaßten. Sie saßen im Hafen fest, konnten sich nicht bewegen, weil Selmas Dokument nicht wirklich galt, und erst als der nächste Schwung von Passagieren kam, winkte man sie durch. Selmas Behelfsausweis wurde wieder kritisch beäugt an der holländischen Grenze, und die deutschen Beamten schienen auch noch nie ein solches Papier gesehen zu haben. Selma fiel auf, daß die deutschen Züge im Gegensatz zu den englischen, die gepolstert waren, Holzbänke hatten, die aus schmalen Latten bestanden. Es kam ihr vor, als würde ihr ganzes Sitzfleisch gestreift von den harten Latten, alles wollte sich empören.
    Die Ankunft in Mainz war ein Schock, die Halle wie eine Muschelschale, ein Spinnennetz, aber zwischen den Rippen fehlte das Glas. Richard und Claire waren an den Bahnhof gekommen und holten Mrs. Hales und Selma ab. Selma wunderte sich, daß ihr Vater ein ausgezeichnetes Englisch sprach, aber sich dennoch schwer mit Mrs. Hales verständigen konnte. Er wählte zu lange Wörter, bildete zu lange Sätze, sprach wie ein Lesebuch. Und ihm gelangen nur verstohlene Seitenblicke auf dieses Mädchen, das stampfend neben ihm ging, mit verschlossenem Gesicht, sich im Taxi eng an Mrs. Hales lehnte, um möglichst nicht an ihre Mutter zu stoßen.
    In Mombach übernahm, als Kornitzer bekundet hatte, seine Frau und seine Tochter und deren Pflegemutter aus England kämen zu Besuch, die alte Frau Dreis die Regie. Sie hatte ihm das Wohnzimmer zur Verfügung gestellt, damit die Gesellschaft nicht in seinem Dachzimmer zusammengepfercht sitzen müßte, sie hatte den Tisch gedeckt und einen Käsekuchen gebacken, den Selma mißtrauisch ansah – offenbar hatte sie noch keinen Kuchen dieser Art gesehen und probiert –, und dann nach einem Zögern stopfte sie ihn doch planlos in sich hinein. Wie viel sie essen konnte, fiel Kornitzer auf. Die Nahrungsaufnahme war eine

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