Landgericht
Witworth Whitley, Handley Page Hampden
und
Vickers Wellesley
. Vom 25. Juli bis zum 3. August 1943 wurde Hamburg bombardiert.
(Was die Kinder nicht wußten und erst später erfuhren: daß das
Jewish Refugee Committee
in der Zwischenzeit fieberhaft nach neuen Pflegeeltern für sie beide suchte, daß dies auf dem Höhepunkt des Krieges zwischen Evakuierungen und Rationierungen schwer war.) Bis die Frau des Direktors mit ihnen nach London reiste; sie kamen sich sehr erwachsen vor zwischen all den sorgenvollen Leuten im überfüllten Zug. In London nahm sie eine fremde Dame in Empfang, begrüßte sie mit ihren Namen und erzählte ihnen, wie gut sie sich erinnerte, daß sie auch den Siebenjährigen und die Vierjährige damals in Empfang genommen habe, was Selma und Georg wegen der Aufregung der ersten Reise vollständig vergessen hatten. Sie fuhr mit ihnen quer durch die Stadt, sie sahen zerstörte Häuser, 43.000 Tote waren in London nach dem „Blitzkrieg“ zu beklagen, sie fuhr mit ihnen nach Richmond upon Thames. Hier ist der Botanische Garten, Kew Gardens, das werdet ihr mögen, lobte sie den Stadtteil, führte sie zu einem riesigen Backsteinhaus hinter Bäumen, einer Trutzburg der Fürsorge, so sah es aus. Es war ein
Hostel for Displaced Children
, wohin sie die beiden brachte. Selma berichtete, es sei unvorstellbar laut und schmutzig gewesen und es habe in den Räumen ein sonderbar beißender Geruch geherrscht, von dem sie zuerst nicht wußte, woher er kam, und dem man nicht entfliehen konnte. (Später stellte sich heraus, es war der Gestank eines Läusevertilgungsmittels, denn in dem Heim hatten außer den Kindern auch Läuse gewildert.)
It felt as though there were hundreds of tiny children, little more than toddlers, swarming up and down the stairs and making lots of noise und fuss. It was a hot summer, and most of them were naked or just had a vest on
. Eine wuselnde, verwilderte, einnässende, zottelhaarige Kindermasse. (Übertrieb Selma, um sich vor ihren Eltern wichtig zu machen? Dafür gab es keinen Hinweis.) Teenagermädchen gaben den Babies Flaschen oder fütterten sie mit Brei. Einmal ließ eines der Mädchen Selma ein Baby auf dem Schoß halten und ihm die Flasche geben; sie war stolz, daß das Kind ordentlich trank, und stolz, daß es sie anstrahlte. Ja, sie empfand sich auch schon als eines der großen Mädchen, die Verantwortung übernommen hatten. Aber dann spuckte das Baby den halben Flascheninhalt aus, und Selma, die im Pfarrhaushalt an äußerste Sauberkeit gewöhnt war, fühlte sich besudelt und ekelte sich.
In dem Haus seien die meiste Zeit über keine Erwachsenen gewesen. Die Kinder waren sich selbst überlassen. (Später begriffen Georg und Selma, daß viele Erwachsene bei der Army gebraucht wurden und daß auch die Munitionsfabriken einen großen Bedarf an Arbeitskräften hatten.) Es kam Selma im nachhinein vor, als habe es in dem Heim nie regelmäßige Mahlzeiten gegeben, häufig war sie hungrig. Die älteren Mädchen ermunterten die jüngeren Kinder, sich in der Küche selbst zu versorgen, dabei schnitten sie sich, verbrannten sich die Finger. Das Beste war noch, wenn man sich mit den Resten des Babybreis vollstopfte, denn niemand wußte, wann es wieder Essen gab. Aus Langeweile oder aus Abenteuerlust begannen die Kinder zu streunen und in kleinen Horden in Richmond herumzuziehen.
Kornitzer fragte seine Tochter, ob sie denn auch in Kew Gardens gewesen seien, ob sie die gewaltigen Glashäuser mit Palmen, Springbrunnen, Orchideen und schreienden Papageien gesehen hätte. Das war das Beste, das er von seinem London-Besuch in Erinnerung behalten hatte. Allein deswegen habe es sich gelohnt, in Richmond gestrandet zu sein. Kew Gardens hatten die Kinder nicht gesehen, aber der Botanische Garten war ein Stichwort. Selma erinnerte sich, daß sie in Berlin unbändig gerne in den Zoologischen Garten gegangen war, um die Schimpansen und die Schildkröten zu betrachten. Als ihre Mutter sie und Georg zum Kindertransport an den Bahnhof Zoo brachte, hatte sie einen Wutanfall. Sie erkannte den Zoo-Eingang, warf sich zu Boden, sie wollte in den Zoo und keinesfalls auf den Bahnhof. Sie war „unartig“. Und später glaubte sie, es sei eine Strafe gewesen, die Tiere nicht mehr sehen zu dürfen, sondern auf schnödeste Weise in einen Zug verfrachtet worden zu sein, ohne Rücksicht auf ihr Betteln. Die Strafe schien ihr ungeheuerlich hart, aber es gab keinen Gerichtshof, um sie zu revidieren. So hatte sie
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