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Landkarten des Lebens

Landkarten des Lebens

Titel: Landkarten des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gundula u Waelde Gause
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Stadt sah ich das erste Mal in einem James-Bond-Film und war sofort fasziniert – vor allem von der riesigen Christusstatue auf dem Corcovado. Vor vier Jahren war ich dort und meinen ersten Ausflug machte ich natürlich auf den Berg mit der Statue. Er zog mich unglaublich an. Ich fuhr mit der Zahnradbahn dort hinauf. Oben stieg ich aus, noch den Lärm der pulsierenden Millionenstadt im Ohr, und wurde von einer wunderbaren Stille empfangen. Der Blick von diesem Höhepunkt war überwältigend: Die Stadt, die Buchten und Inseln, die anderen Berge, all das lag mir zu Füßen, eingehüllt in das Blau des Himmels und des Meeres. Und hinter mir, in meinem Rücken, 38 Meter hoch und 1145 Tonnen schwer, stand die Christusstatue. Christus schützt die Stadt und er schützt mich – so fühlte es sich für mich an.
    An einem weiteren Höhepunkt in meinem Leben hatte ich den Überblick über alles und war geschützt und sicher durch Christus in meinem Rücken. Dies schien mir ein wunderbares Bild für das Leben und den Glauben zu sein. Und mir kam dort oben erneut die Skulptur eines Künstlers in den Sinn, die ich kurz nach dem Tod von Bettina entdeckt hatte: eine Christusfigur mit ausgestreckten Armen, die einen Menschen hält. Dieser Mensch hängt in der Luft, er hat keinen Boden mehr unter den Füßen, er schwebt fast – so hatte ich mich gefühlt, nachdem Bettina gestorben war. Auch wenn ich es damals nicht sehen und fühlen konnte – Gott hat mich gehalten. Nun, auf dem Berg Corcovado, unter der großen Christusstatue, wurde mir einmal mehr bewusst, dass wir nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand. Er hält uns. Immer.
    Manchmal bekomme ich von Freunden eine etwas erstaunte Rückmeldung. Sie sagen zu mir: Du hast es in deinem Leben doch wirklich gut getroffen, du bist selbstständig, verdienst dein Geld mit dem, was du am liebsten machst, schreibst Bücher, bekommst Preise für deine Projekte – und trotzdem durchleidest du immer wieder Krisen? Woher kommt das? Ich antworte ihnen dann: Auch wenn nach außen hin alles wunderbar aussieht – Krisen passieren immer und sie gehören dazu. Ohne Tiefpunkte keine Höhepunkte. Zum Glück sind es in meinem Leben derzeit „nur“ die Krisen des Alltags, Dinge, die nicht klappen, Projekte, die sich nicht so entwickeln, wie ich sie geplant habe. Und schließlich gilt doch: Wenn ein Leben nur aus Höhepunkten besteht, dann verlieren sie ihren besonderen Charakter. Dann gewöhnt man sich daran und fühlt sich innerlich irgendwann leer.
    Wenn ich über den Übergang von einem Höhe- zu einem Tiefpunkt nachdenke, dann fällt mir die Landung ein, die wir damals mit unserem Ballon hinlegten. Da sich ein Ballon nur eingeschränkt steuern lässt, weiß keiner so genau, wo diese Landung stattfinden wird. Der Höhenverlust wird nur dadurch erreicht, dass der Brenner nicht mehr gezündet wird – der Ballon verliert so nach und nach an Volumen und sinkt Richtung Boden. Unten angekommen, setzt der Korb auf, recht unsanft, dann hebt er wieder für ein kurzes Stück ab, setzt noch einmal auf, so geht das eine ganze Weile, es ruckelt und hoppelt, der Korb gräbt sich immer wieder in die Erde, die Passagiere werden durchgeschüttelt, das Ganze ist eine wirklich anstrengende Angelegenheit. Irgendwann bleibt der Ballon dann endlich unten, die erschlaffte Hülle sinkt zu Boden.
    Und auch hier sehe ich wieder die Parallele zum Leben: Aus den himmlischen Höhen, in denen wir uns in einem Moment befinden, stürzen wir ab – sei es, weil unser Arzt mit einer schlimmen Diagnose aufwartet, sei es, weil unser Arbeitgeber uns kündigt oder weil unser Partner uns verlässt. Wer solche Krisen als das empfinden kann, was sie sind – nämlich zum Leben zugehörig – ist besser für sie gerüstet und kann sie schneller hinter sich lassen. Wer das nicht schafft, ist gut beraten, sich professionelle Hilfe zu holen. Schnell. Im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich in etlichen Tiefphasen meines Lebens Therapeuten aufgesucht, beispielsweise um die Trauer um meine erste Frau aufzuarbeiten. Ich kenne viele Menschen, die noch Jahre, nachdem sie einen geliebten Menschen verloren hatten, mit psychosomatischen und medizinischen Symptomen in irgendwelche Kliniken eingeliefert wurden. Das zeigt mir: Wenn Menschen die Tiefpunkte ihres Lebens nicht ansehen, wenn sie ihre Traumata nicht aufarbeiten, ihrer Trauer nicht Gehör schenken, gären sie in ihnen weiter.
    Krisen, Traumata und Trauer sind wie ein

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