Landkarten des Lebens
Moment. Er macht vieles vergessen, er verbindet uns, er ist ein Höhepunkt unseres gemeinsamen Lebens. Die Vergänglichkeit dessen, was wir hier erleben, ja, unseres ganzen Daseins, wird mir brutal bewusst, und ich kämpfe sogar mit den Tränen.
Auch später noch, im Gornergrathotel, muss ich schlucken: Da gibt es einen Moment, in dem meine Eltern beide vor dem großen Aussichtsfenster stehen, ganz in sich und in den Anblick des Matterhorns versunken, und auf einmal weiß ich: Es ist das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie so etwas Außergewöhnliches erleben. Da ist eine heilige Stille um sie, eine ganz tiefe Andacht, ein Stück Ewigkeit, Zeit und Raum sind verschwunden. Solche Momente sind unvergesslich.
Am Nachmittag fahren wir wieder zurück nach Zermatt – und wir schweigen fast die ganze Zeit. Jeder von uns ist ergriffen und hängt seinen eigenen Gedanken und Empfindungen nach. Erst als wir in Zermatt in einem Café sitzen, können wir uns über das Gesehene und Erlebte austauschen. Mein Vater erzählt uns, dass er schon am ganz frühen Morgen dieses Tages – bei Sonnenaufgang – vom Hotelzimmerfenster aus das Matterhorn gesehen habe. Deshalb sei dieser Traum für ihn auch in drei Akten in Erfüllung gegangen: der Blick aus dem Bett seines Hotelzimmers, die Fahrt mit der Zahnradbahn und dann das Finale auf dem Gornergrat. Er ist überglücklich. Seit diesem Tag ist das Matterhorn ein besonderer Ort für unsere Familie – ein heiliger Ort, würde ich sagen.
Die Ewigkeit mit Händen greifen
Heilige Orte – das sind Plätze und Stätten der besonderen Berührung. An ihnen geschieht etwas mit uns, mit unseren Herzen, etwas, das lange in uns erhalten bleibt und uns sehr tief prägt. Es sind Orte, an denen wir spüren, dass Zeit und Raum verschwinden und wir die Ewigkeit förmlich mit Händen greifen können. Vielleicht ist ein Berg heilig, vielleicht ein Tal, vielleicht ein See oder das Meer. Auch Orte, die auf irgendeine spezielle Weise mit unserer Biografie verbunden sind, können heilig sein. Ich denke, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens an „Schlüsselorte“ kommt – zum Beispiel dort, wo er das erste Mal in seinem Leben das Meer sieht, das erste Mal Ski fährt, den ersten Kuss bekommt. Meine Frau Ilona erzählt immer wieder beseelt und beglückt von dem ersten Urlaub, den sie mit ihrer Familie an der Adria verbrachte. Sie und ihre Geschwister waren noch klein, eine Reise nach Italien war ein großes Abenteuer, und für sie bedeutete es das Glück auf Erden, dass ihre Eltern uneingeschränkt Zeit für sie und ihre Geschwister hatten. Dieser Urlaubsort ist ihr heute noch heilig.
Ich hatte in meiner Kinderzeit einen ganz anderen heiligen Ort: In der Nähe von Denzlingen, dem Ort, an dem ich zur Schule gegangen bin, gibt es den Mauracher Berg. An seinem Osthang steht mitten in einem Wald die Kirchenruine St. Severin. Vermutlich befand sich an dieser Stelle schon vor 1.000 Jahren ein Gotteshaus. Immer wenn ich zu Hause Ärger hatte, wenn mir alles zu viel wurde, setzte ich mich auf mein Fahrrad und fuhr dorthin. Dort fühlte ich mich angekommen und angenommen. Es war ein Ort des Friedens. Da gab es keine Auseinandersetzungen mit meinen Eltern, dort konnte ich die Krankheit meiner Mutter wenigstens für eine kurze Zeit aus meinen Gedanken verbannen und vor allem Kraft und Energie tanken. Ich befand mich zwar immer noch mitten in der Welt, aber doch ein kleines bisschen jenseits von ihr. Diese Ruine war mein geheimer Kraftort. Daran denke ich auch heute noch gerne zurück und spüre immer noch etwas von diesem Geist und dieser Kraft, die ich dort tanken konnte.
Schritt 6 auf dem Weg zu Ihrem Lebenstraum:
Nehmen Sie sich Ihre Lebenslandkarte noch einmal vor und tragen Sie Ihre heiligen Orte dort ein – mit einer Farbe, die Sie bislang noch nicht benutzt haben. Beschriften Sie anschließend diese heiligen Orte, und zwar ganz konkret: Kirschbaum in Omas Garten, Bootssteg am See, Wohnzimmer, Berghütte – wo auch immer.
Ich verspreche Ihnen: Sobald Sie das getan und sich damit Ihre heiligen Orte noch einmal bewusst gemacht haben, werden diese Ihnen noch wertvoller erscheinen. Sobald es in Ihrem Leben wieder einmal hektisch und eng werden sollte: Nehmen Sie sich ganz bewusst eine Auszeit, suchen Sie einen heiligen Ort in Ihrer Nähe auf und tanken Sie Energie!
Begegnungen mit unserem Schöpfer
Heilige Orte müssen nicht draußen, müssen nicht weit entfernt sein. Sie können sich auch direkt vor
Weitere Kostenlose Bücher