Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
über die in
    Marshmallow lauernden Kaloriengefahren machte. Weil sie
    klein war, machte sich jedes zusätzliche Pfund bemerkbar,
    aber sie hatte etwas Ängstliches, Nervöses und Unentschie-

    245
    denes, das an ihr zehrte und ihre Pummeligkeit im Zaum
    hielt. Ian, ihr Mann, wurde zunehmend schwieriger, hieß
    es. Gegen den Trend der Zeit, der langes glattes Haar ver-
    langte, trug sie ihres, das tabakbraun war, mit künstlichen
    hellen Strähnchen, kurz geschnitten und zurückgebürstet,
    als brauste sie auf einem Motorrad dahin. Sie trug eine
    Brille mit einem fleischfarbenen Plastikgestell, sogar wenn
    sie faulenzend am Teich lag; ihre Augen, mattblau, ausge-
    laugt wie oft gewaschener Jeansstoff, wanderten öfter, fand
    Owen, als es streng genommen seinem Anteil entsprach, in
    seine Richtung. Männer waren am Heron Pond ein selte-
    ner Anblick. Wenn Alissa über etwas, das er sagte, lächelte,
    umfing ihn ihr Lächeln; es war, als könnte sie seine Ge-
    danken lesen, als wüsste sie von dem trüben Ereignis mit
    Stacey und von dem klare
    n Entsch u
    l ss, der darauf gefolgt
    war. Er war zu haben.
    An einem Abend, an dem sie alle bei den Morrisseys zu
    viel getrunken hatten, Silvester vielleicht, in der konfusen
    Schlussstunde nach Mitternacht, waren sie sich zufällig
    oben im Flur begegnet – sie sah nach einem fiebernden
    Kind, und er wollte urinieren, und die einzige Toilette un-
    ten ging von Ians Atelier ab, zu dem der Zugang verboten
    war. Ian beharrte strikt und humorlos darauf, auch Gäste
    durften sein Atelier nicht betreten. Wie Planeten, die von
    ihrer Umlaufbahn abgekommen waren, hielten Owen und
    Alissa aufeinander zu und küssten sieh. Sie presste so hart,
    dass ihre Zähne aneinander schlugen; er war verdutzt, wie
    er es vor Jahren gewesen war, als Alice Stottlemeyer ihn ge-
    küsst hatte. Aber hier wurde nicht mehr Flaschendrehen ge-
    spielt. Von dem Champagner der Silvesterfeier enthemmt,
    erregt von ihrem Party-Aufzug, einer durchsichtigen Bluse
    und kirschroten Haremshosen, ließ er seine rechte Hand in

    246
    ihren Hosenbund gleiten und legte sie einen Moment auf
    ihren Spalt. Sie machte einen Satz zurück, als hätte sie sich
    verbtüht. «O nein, so nicht», sagte sie im gestrengen Ton
    einer Ballsaal-Gastgeberin, wie sie von Barbara Stanwyck
    oder Ann Sheridan in einem Schwarzweißfilm im längst
    verlorenen Scheherazade gespielt worden war. Alice war
    vielschichtig – alle Frauen waren vielschichtig, entdeckte
    er, der Trick bestand darin, die Schicht zu
    e
    find n, wo man
    willkommen war.
    Die Morrisseys hatten oft Gäste, ein sicheres Zeichen für
    eheliche Spannungen: Sie brauchten andere Menschen, die
    ihnen halfen, sich gegenseitig zu ertragen. Ian Morrissey,
    zehn Jahre älter als Alissa, war Zeitschriftenillustrator. Als
    die Welt der für die Mittelschicht gemachten Zeitschriften,
    die Illustrationen brauchten, schrumpfte, war er trübsinnig
    und sarkastisch geworden. Die Jahre hatten ihn schneller
    ergrauen lassen, als das bei einem Mann von wenig über
    vierzig hätte sein sollen, und ihm zittrige, von Tinte und
    Nikotin verfärbte Finger gegeben sowie eine krumme
    Haltung und eine eingefallene Brust. Er hatte sich die Vor-
    stellung zu Eigen gemacht, dass seine Berufswelt, in der
    flott und glamourös dargestellte Frauen Liebesgeschichten
    illustrierten, die immer gut ausgingen, sensationellen Do-
    kumentarberichten weichen musste, mit Fotos, die mit der
    Spritzpistole zu um Haaresbreite pornografischen Bildern
    retuschiert wurden, während Owen und Ed auf einer tech-
    nologischen Welle immer weiter nach oben gelangten. Er
    bezeichnete sie spöttisch als «Nerds». Owen versuchte ihm
    klar zu machen, wie unbeständig und risikoreich die sich
    rapide verändernde Computerwelt war und dass er und Ed
    sich einer immer jüngeren und innovativeren Konkurrenz
    gegenübersahen, doch es hatte sich in Ians Kopf verfestigt,

    247
    dass er eine aussterbende Kunsttradition verkörperte, die
    durch einen Ansturm von Rockmusik, Industrierobotern
    und psychopathischer Gewalt auf brutale Weise erstickt
    wurde. Er hatte sich einen stoppeligen Ziegenbart wach-
    sen lassen, mit dem er unrasiert au

    ssah, u
    nd kleidete sich
    nachlässig wie ein Ve sager.
    r
    «Was ihr Nerds nicht kapiert, nicht im Entferntesten
    mitkriegt», sagte er eines Abends zu Owen, «ist, dass eure
    grässlichen Maschinen nicht übermenschlich, sondern un
    mens h
    c lich sind. Alles, was un
    s zu Mens h
    c en macht,

Weitere Kostenlose Bücher