Landleben
und seine schnippische jüngere Schwester – hat-
ten nicht ein ganzes Haus, sondern wohnten im Erdge-
schoss und dem Keller eines Doppelhauses aus gelbem Backstein, das ziemlich neu war. Insgesamt wohnten vier
Familien darin, Leute, die sich kein eigenes Haus leisten
konnten, und das war ein bisschen so, wie in der Second
Street zu wohnen oder einen Vater zu haben, der nicht nett
zu der Mutter war.
Owen war dankbar, dass er nicht in einer Mietwohnung
wohnte, so wie er froh war, dass er kein Mädchen war und
kein Linkshänder. Wenn er sich nur vorstellte, er müsste in
dieser verkrampften Haltung schreiben, nur um mit dem
Handballen die nasse Tinte nicht zu verwischen! Er war
ein Glückskind, zu diesem Schluss war er früh gekommen.
Und bestimmt hatte er Glück, verglichen mit den Kin-
dern in London oder Leningrad oder, später, mit denen in
Berlin oder Tokio. Wenn bei ihm zu Hause die Lampen
ausgemacht wurden und sie sich auf den Treppenabsatz
hockten, um möglichst vor fliegenden Glassplittern in Si-
cherheit zu sein, war es ein Probealarm, ein gespielter, und
wenn ein Flugzeug über ihren Köpfen dröhnte und er mit
Herzklopfen daraufwartete, dass die Bombe fiel, dann war
es natürlich eins von unseren Flugzeugen, und es fiel kei-
ne Bombe. Aber wieso hätten Tojo und Hitler auch Wil-
low bombardieren wollen? Wegen der einen kleinen Fall-
schirmfabrik?
Am Sonntagnachmittag machten seine Eltern immer einen
Spaziergang; Jahrzehnte mussten vergehen, bevor Owen
verstand, dass diese Gewohnheit ihre einzige Gelegenheit
war, sich als junges Paar zu zeigen und dem Haus zu ent-
fliehen, das nicht ihres war. Aber er, ihr Kind, war ihres,
und sie zogen ihn mit sich, obwohl schon die Aussicht ihm
die Beine schwer machte und er immer weiter zurückblieb,
bis sein Vater schließlich zurückkam und ihn auf die Schul- tern nahm. Es war ein komisches Gefühl, so hoch oben,
und der Kopf seines Vaters kam ihm seltsam groß und haa-
rig vor, sodass er nach einer Weile glücklich war, wieder auf
die Erde zurückzukehren und auf den eigenen Beinen zu
stehen.
Es gab verschiedene Routen für den Spaziergang. Die
eine bestand darin, dass man links in den namenlosen Weg
hinter ihrer Hecke einbog, die Alton Avenue überquerte,
durch den neueren Teil von Willow ging und den Shale
Hill erklomm. Am Fuße des Hügels waren Victory-Gärten,
aber auf der Höhe schlängelten sich die Wege zwischen
Kiefern und flachen Felsen hindurch, die ihn an rutschen-
de Stapel im Regen dunkel gewordener, zerknitterter Zei-
tungen erinnerten. Von dort oben konnte man die ganze
Stadt überblicken: Der neueste Teil war am nächsten, an
den geschwungenen Straßen standen Platanen und Pap-
peln, dahinter war ein älterer, in Rechtecke gegliederter
Teil mit dunkler und dichter belaubtem Spitzahorn, und
jenseits der Alton Pike erstreckte sich der älteste, süd-
lichste Teil. Die Mifflin Avenue, auf beiden Seiten von
hohen Rosskastanien bestanden, war deutlich sichtbar. Er
sah sein eigenes Haus – das Haus seines Großvaters –, die
Backsteinmauern vanillegelb und die Holzteile petersilien-
grün gestrichen, und wie sich die Mifflin Avenue im fer-
nen Dunst als Landstraße durch die Blake Farm wand und
nach Philadelphia strebte – wie der Fluss, der glitzernd in
die gleiche Richtung floss. Die Aussicht interessierte seine
Mutter jedes Mal, aber Owen war sie nur zwei Sekunden
wert. Was konnte man mit einer Aussicht anfangen? Er hät-
te lieber einen Stock gefunden und versucht, Kieselsteine
zu schlagen wie einen Baseball.
Wenn sie dagegen unter den Weinranken neben der Ve-randa durchgingen und über den Ziegelsteinweg, an dem
Stiefmütterchenbeet vorbei, zu der Lücke in der Hecke,
konnten sie in die andere Richtung gehen, nach rechts,
und die Mifflin Avenue hinauf, vorbei an dem Gespenster-
haus der Hoffmans und Buddy Rourkes traurigem Miets-
haus, an der Stelle, wo die Scheune der Bakers abgebrannt
war, vorbei an den stinkenden Schweinekoben und einge-
zäunten Kuhweiden an dem Creek, der da, wo er langsam
floss, grün war von Brunnenkresse, die Grammy manchmal
pflückte, und zu einer Straße, die zum Cedar Top hinauf-
führte, dem Shale Hill gegenüber, auf der anderen Seite
des Tals, in dem Willow lag.
Jenseits der Stadtgrenze kletterte die Straße bergauf.
Rostende Autos standen vor ungestrichenen Häusern in
den abschüssigen Vorgärten, und struppige Hunde bellten
und bellten, wenn die drei Mackenzies vorbei trotteten.
Dann kam ein Stück Wald und
Weitere Kostenlose Bücher