Landluft für Anfänger 01: Großstadtmädchen haben's schwer
Stress nicht vergessen, sofort am Flughafen Mia anzurufen. Ich hab’s nicht in mein Outlook eingegeben.
09:40. Berlin. Immer noch in der Waagrechten bei Frau BN
Mein Erbe (‚Haben Sie mal daran gedacht, ein Gutachten anfertigen zu lassen? Wenn das Haus etwas wert ist, sollten Sie damit für Ihre Rente vorsorgen’) haben wir schon durch. Die Frage, ob David als mein neuer Mitbewohner in Frage kommt (‚Vielleicht ist es ganz gut für Sie, mal ganz alleine zu wohnen?’), ebenfalls. Jetzt sind wir bei:
»Sie haben also Angst, David zu verlieren, wenn Sie ihn wegen dieser Sache nicht bei Ihrem Chef rehabilitieren.« (So lautet Frau BNs knappe Zusammenfassung meines vorangegangenen 20-minütigen Monologs.)
»Ja, so ungefähr«, sage ich vage. Woraufhin BN versucht, meiner Angst mit vernünftigen Argumenten beizukommen:
»Wenn Ihr David ein erwachsener Mann ist (ja, wenn) und ihm etwas an Ihnen liegt (auch das keine gesicherte Erkenntnis), dann weiß er Privates und Berufliches zu trennen. Sie haben Ihre Pflicht getan und den Redakteur darauf angesprochen. (Leiter Online, aber wir wollen mal nicht so spitzfindig sein.) Die Herren sollten das auch unter sich klären können.«
»Ja, aber wenn … er nun der Mann meines Lebens ist?« Vernünftige Argumente ziehen bei meiner ausgeprägten Verlassen-werden-Panik einfach nicht. Schon spüre ich, wie sich Tränen in meinem Auge sammeln, und höre den Krepp unter meinem Kopf frohlockend knistern. Aber ich werde nicht weinen!
»Wie lange kennen Sie David jetzt schon?«
»Fünf Wochen.« (Und vier Tage.) Was soll denn diese ketzerische Frage? »Ich bin 33, da kann man nicht mehr ewig so weitertändeln. Wissen Sie, wie viele meiner Freundinnen sich schon mit künstlicher Befruchtung rumschlagen? Andere haben in meinem Alter schon geheiratet, mindestens ein Kind bekommen und eine eigene Firma gegründet.«
»Mit ‚anderen’ meinen Sie sicher …« Ja, genau. Die. Diese Ich-habe-alles-im-Griff-bin-glücklich-verheiratet-verdiene-scheiße-viel-Geld-und-spreche-vier-Sprachen-Übertochter! Meine verdammte Halbschwester! Mist, jetzt heule ich doch! Oh nein, klingelt da jetzt etwa mein Handy?!
09:50 Flughafen München
Ist das zu glauben, die geht schon wieder nicht ans Telefon. Schläft die um diese Zeit etwa noch? »Hier ist die Mailbox von Mia Mann. Bitte hinterlass mir eine Nachricht, ich rufe zurück!« Genau, Mia Engelsstimmchen Mann. Ruf mich zurück. Ich sprech dir jetzt auf die Mailbox. Hoffe, hier ist kein Funkloch. Die Ansage klang so brüchig.
09:51. Berlin. Hektisches Suchen in der Senkrechten bei BN
Shit, Shit, Shit! Telefon nicht leise gestellt. Schnell wegdrücken. Strafender Blick von Frau BN. Ich weiß genau, was sie denkt: Sie schüttelt innerlich den Kopf und findet, das ist ein Zeichen dafür, dass ich mich selbst nicht ernst nehme. Weil ich nicht dafür sorge, dass ich in meiner wichtigen Therapiestunde nicht gestört werde. Jetzt hab ich auch total den Faden verloren, und bestimmt ist die Stunde sowieso gleich um.
»Wir waren bei Ihrer Halbschwester.« (Ach ja, ätzend.) BN reicht mir ein Kleenex, ich schnäuze und nehme brav wieder die Waagrechte ein.
»Sie sollten nicht immer das Wunschbild, das Ihr Vater von seiner ersten Tochter auf Sie projiziert, annehmen. Das hatten wir doch schon besprochen … Wären Sie denn gerne wie Ihre Halbschwester?« Hm. Tausche Humor, Klamottengeschmack und ein Leben voller Alkoholexzesse gegen langweiligen Mann, nerviges Kind und eine spießige Karriere? Nääh.
»Sehen Sie. Lernen Sie doch erst mal, sich selbst anzunehmen.« Hahaha. Dann fang ich mit achtzig an, mein Leben zu planen. Wenn ich überhaupt so alt werde. Als hätte BN meine Gedanken erraten, fragt sie: »Hatten Sie in letzter Zeit mal das Gefühl, Ihr Herz bliebe stehen?«
»Nein, das letzte EKG war ja auch in Ordnung.« (Nicht zu glauben, dass ich tatsächlich einen Tag und eine Nacht lang mit Dioden an meinem Körper rumgelaufen bin. Nur weil ich Angst hatte, nachts macht es ‚zack’, und ich bin weg.) Ich höre sie Notizen machen und spüre, dass sie auf die Uhr sieht. Schweigen. Dann klappt sie den Block zu.
»Frau Mann, hier müssen wir es für heute leider stehen lassen. Denken Sie doch in Ruhe noch mal nach, und treffen Sie erst mal keine übereilten Entscheidungen. Wir sehen uns am Mittwoch.« Ich stehe auf, und sie streckt mir ihre Hand entgegen. »Auf Wiedersehen!« Rührend, wie nervös sie plötzlich ist. Ob den Therapeuten
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