Landluft für Anfänger 01: Großstadtmädchen haben's schwer
Nicht, dass sich die Plackerei am Ende nicht gelohnt hat. Ist ja jetzt nicht so, dass ich nur wegen Alice jogge, ich habe mich einfach in letzter Zeit sportlich ein wenig hängen lassen. Der E&W-Systems-Fall war doch sehr anstrengend. Der Blackberry! Wenn man vom Teufel spricht. Mr. Johnson von der E&W Systems! Wie spät ist es jetzt in New York? Gehe da jetzt nicht ran, ich kann schließlich nicht ins Telefon keuchen. Rufe zurück, wenn ich zu Hause bin. Wollte heute allerdings auch noch den Artikel fertig schreiben. Biege ich da vorne rechts oder links ab? Eigentlich ist es egal, wo ich mich der Lächerlichkeit preisgebe. Nicht, dass ich hier nach sechzehn Jahren viele Nachbarn kennen würde. Trotzdem. Ich bin sicher, dass ich joggend und in durchschwitzten Sportklamotten eine mäßig würdige Figur abgebe. Aber ich kann schlecht im Armani-Anzug trainieren. Wenigstens ist es dunkel, sonst müsste ich im Stadtwald … WUIWUIWUIWUIWUIWUIWUIWUI! Aaaaah! Hilfe! Jetzt bin ich tatsächlich gegen ein Auto gerannt. Wieso parken die ihren Wagen auch halb auf dem Bürgersteig?! Haben die keine Garage?! Vergiss das mit dem,aeorb laufen’, Iris. Nichts wie weg hier! Michaels Affäre macht mich fahrig. Ich bin nicht naiv und weiß, dass Seitensprünge in den meisten Ehen an der Tagesordnung sind. Vielleicht hat Michael auch vorher schon mal …? Warum einen das so kränkt? Ich sollte mich nicht so anstellen. So was geht vorbei wie ein Magen-Darm-Infekt. Und dann ist alles wieder beim Alten. Aber dass er ausgerechnet mit meiner Assistentin … Und dass ich sie täglich im Büro ertragen muss! Wenigstens kommt sie am Freitag nicht mit nach Berlin. Vielleicht hat Mama Recht, und wir sollten ein wenig an unserer Beziehung arbeiten… Ob ich einfach Sushi für uns beide bestelle? Als Überraschung, wenn Michael vom Squash kommt? Kalorienmäßig wäre das okay, und wenn ich ein Mal eine Ausnahme mache und später esse … Uff, Runde beendet. Ich hätte ein Licht anlassen sollen, das Haus sieht nicht gerade anheimelnd aus, wie es da klotzig in der Dunkelheit aufragt.
22:00. Frankfurter Lerchesberg. Iris’ offene Küche
Michael und Thorsten gehen doch sonst nach dem Squash keinen trinken. Wo bleibt der denn? Oder ist er bei … Nein … Das kann doch nicht … Mir ist auf jeden Fall der Appetit vergangen. Ich stell den blöden Fisch jetzt in den Kühlschrank. Oder werf ich den gleich in den Müll? Sushi soll ja die Libido … dann bin ich nachher noch schuld, wenn Michael einen Assistentinnen-Rückfall hat! Iris, ich bitte dich. Das hat fünfzig Euro gekostet. Also Kühlschrank. So. Jetzt mach ich mir einen Mate-Tee, dann der Anruf bei E&W, dann der Artikel. Ob ich noch mal bei Mia …, nein, ich mach mich ja zum Hampelmann. Treffen wir uns eben nicht in Berlin.
22:10. Ein Club in Berlin Kreuzberg
Da ist David. Steht cool an der Bar. Mit Kim Ji-Young aus der Moderedaktion. Dass die auf ihn steht, ist eh das offenste Geheimnis der Welt. Ich hol mir erst mal ein Bier. Ich bin ja nicht nur wegen ihm hier.
22:15. Im Gedränge an der Bar
Warum unterhält er sich denn mit der? Ich seh doch an ihrem Gesicht, dass die keinen Plan hat, wovon David redet. Und was hat die überhaupt für ein albernes Glitzerteil an?
»Willste jetzt was? Oder stehst du hier nur so?« Ach so, ja.
»Ein Becks. Danke.«
22:50. Ein Bier später
Das ist doch albern, Mia. Du kannst doch nicht den ganzen Abend hier rumstehen und David auf Schritt und Tritt beobachten. Das fällt selbst Außenstehenden auf. Gerade lehnte sich ein Typ zu mir rüber (offensichtlich schwul) und sagt mit Blick auf David: »A hoißes Schätzle isch der scho! Gell?« Die Schwaben nerven echt.
23:00
Laura hat Recht, Privatleben geht vor Job, wir lassen uns von den Kapitalisten und Karrieristen nicht unser Leben versauen. Was habe ich davon, mit 45 in einem schicken Büro, aber ohne Familie dazusitzen? Eben. Ich sag’s Patrick jetzt. Stell ihm ein Ultimatum: Entweder korrigiert er die Sache, oder ich sag’s dem Chef. Vorher aber besser noch einen Klaren.
23:20. Zweieinhalb Biere und einen Schnaps später
Oh je. Patrick war erst echt ungläubig und dann echt sauer. Ich sehe mich schon ab morgen auch noch das alte Archiv ordnen. Aber er hat gesagt, er regelt die Angelegenheit. Eigentlich kann ich stolz auf mich sein. Ich, Mia Mann, habe Zivilcourage gezeigt! Jetzt kann ich David wieder unter die Augen treten. Jippie! Einen Gin Tonic hab ich mir jetzt echt verdient!
23:28
David
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