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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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der Wiese aufsetzte und der Alte unbeschadet aussteigen konnte. Er war zufrieden mit dem Probeflug. Alle mussten nun den Ballon halten, auch die älteren Kinder bekamen ein Seil in die Hand gedrückt, und Manolow und Becker heizten die Luft des Ballons durch die untere Öffnung nochmals minutenlang auf. Dann fragte Manolow Babsy und Bernhard, ob sie bereit sind, sie können nun starten. Babsy nickte begeistert, und Bernhard war ganz blass. Er atmete schwer. Ich sagte ihm, er ist verrückt, dort einzusteigen oder vielmehr sich daranzuhängen.
    »Was machst du, wenn du ohnmächtig wirst da oben?«
    Er antwortete nicht, sondern sah mich mit stumpfemBlick an wie ein Ochse, der zum Schlachter geführt wird, und stieß prustend Luft aus dem offen stehenden Mund.
    »Komm schon«, sagte Babsy und griff nach einem der beiden Holzknüppel, die an den Seiten des Korbes mit dicken Seilen festgemacht waren. Sie hob den Knüppel hoch und hielt ihn sich unter den Hintern, damit sie auf ihm zu sitzen käme, sobald der Ballon wieder aufstieg. Manolow kletterte schwerfällig in den Korb, er hatte jetzt eine schrundige, lederne Fliegerkappe aufgesetzt und unter dem Kinn zugeschnallt. Er sah aus wie ein alter Uhu.
    »Na, los!«, sagte er zu Bernhard, der sehr langsam zu dem anderen Knüppel lief, ihn aufhob und ratlos in den Händen hielt.
    »Schieb ihn dir unter den Hintern«, polterte Manolow aus dem Korb heraus, »genau wie die Kleine. Die stellt sich nicht so an wie du. Die Kleine hat Mumm, mein Lieber, da kannst du noch was lernen.«
    Bernhard ging in die Hocke und hielt die beiden Seile fest, an denen der Knüppel festgebunden war. Er sah so komisch aus, dass Babsy und ich laut loslachen mussten.
    »Haltet euch gut fest, meine Täubchen, jetzt fahren wir«, sagte Manolow. Er befahl den Kindern, die Seile loszulassen, und nickte Becker zu, der als Einziger das Führungsseil in der Hand hielt. Dann löste Manolow dieses Seil vom Korb, und der Ballon stieg schwerfällig hoch, viel langsamer als zuvor. Nachdem der Korb anderthalb Meter über der Wiese schwebte, Babsy baumelte schon frei mit den Beinen, während Bernhard mit den Schuhspitzen noch die Wiese berühren konnte, zündete Manolow den Bunsenbrenner an und hielt die Flamme in die Ballonöffnung. Nach wenigen Minuten stieg der Ballon langsam weiter hoch. Diesmal trieb er gemächlich in Richtung Stadt, so gemütlich, dass wir alle ihm bequem zu Fuß folgen konnten. Ich konnte Babsy sehen, die unentwegt mit den Beinen strampelte und zu uns heruntersah und etwas rief, das ichnicht verstehen konnte, und Bernhard, der ganz steif auf seinem Stock saß, sich überhaupt nicht bewegte, nur auf den Ballon starrte und nicht wagte hinunterzusehen. Von Manolow sah ich nichts, die Flamme des Bunsenbrenners leuchtete unter dem schmutzigen Grau des Ballons hervor. Nachdem sie etwa zehn oder zwanzig Meter hoch waren, ich konnte es nicht schätzen, für mich war es turmhoch, machte Manolow die Flamme aus, der Ballon trieb weiter auf die Stadt zu, es schien, als ob er sich gleichmäßig und in unveränderter Höhe bewegte, dann wurde er plötzlich schneller. Ich rannte mit Becker und den Kindern die Wege des Kurparks entlang, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, und fragte mich, ob der alte Bauer den Ballon lenken könne, denn er trieb jetzt in Richtung des Kirchturms, und wenn er dagegenstoßen würde, könnten Babsy und Bernhard sich nicht mehr auf ihren Trapezen halten und würden herabstürzen. Oder der Ballon würde vom Firstkreuz oder einer der blechernen Dachabdeckungen aufgeschlitzt und sie würden alle zusammen herabfallen. Ich schrie nach oben, dass sie zurücksegeln sollen, aber sie hörten mich nicht. Manolow winkte uns aus der Gondel zu und Babsy ließ eine Hand los, um ebenfalls zu winken. Der Ballon änderte wieder die Richtung, und wir mussten um das Kurhaus herumlaufen, um hinterherzukommen. Manolow hatte wieder die Flamme entzündet, ich sah den Feuerschein von unten. Sie trieben jetzt auf den Sportplatz zu, wo ein Fußballspiel lief, ein Entscheidungsspiel zwischen unserer Stadt und der führenden Mannschaft aus Plünnen. Ich rannte keuchend hinterher und konnte schon die Stimmen der Zuschauer und der Spieler hören. Plötzlich wurde es auf dem Platz still, sie hatten den Ballon entdeckt. Als ich auf dem Sportplatz ankam, war das Spiel unterbrochen, und alle schauten hinauf zu Manolow, Babsy und Bernhard. Der Ballon näherte sich dem Sportplatz, dann schaukelte er langsam

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