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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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zwanzig Jahren nicht mehr oben. Das letzte Mal, da fing gerade der Krieg an. Ohne dich, meine Hübsche, wäre ich nie wieder aufgestiegen. Und vergiss nicht, wenn die alten Knochen wieder zusammengewachsen sind, fahren wir zwei nochmal. Dann suche dir einen anderen Freund, einen, der ein bisschen Mumm hat. Weil dieser Junge zu dumm ist, eine Leine zu werfen, habe ich mir einen Knochen gebrochen. Der taugt nichts, Mädchen.«
    Einige Männer, die um Manolow standen, nickten und pflichteten ihm bei.
    »Ja, der ist nicht von hier.«
    »Man hätte die Flüchtlinge, als sie damals hier ankamen, gleich in der Mulde ersäufen sollen, allesamt.«
    »Taugt alles nichts.«
    »Aus dem hätte man beizeiten ein Pfund Seife machen sollen. Dann hätte er wenigstens einen Nutzen.«
    »Aber Herr Manolow! Was reden Sie denn da! Ist ein netter Junge, der Bernhard.«
    »Er ist keiner für die Luft, Mädchen. Was ein Mann ist, das zeigt sich erst in der Luft oder im Gebirge oder im Krieg. Mit dir steige ich noch mal hoch, Kleine, doch bis dahin hast du einen richtigen Kerl. So, und jetzt müsst ihr euch um den Ballon kümmern. Der Becker soll das Fuhrwerk holenund alles zu mir auf den Hof schaffen. Da kann er mich auch gleich aufladen, denn ins Krankenhaus gehe ich nicht. Nicht wegen eines einfachen Knochenbruchs. Und sag meiner Alten Bescheid, sie muss das Vieh füttern auf den Abend. In den nächsten Tagen werde ich nicht viel Grünes machen.«
    Der Sanitäter verlangte, dass ein Krankenwagen geholt werde, denn das Bein müsse geröntgt werden. Manolow sagte nur, er steige in keinen Krankenwagen, er fahre mit seinem Pferdewagen heim, und wenn der Doktor nicht zu ihm komme, werde er sich selber schienen.
    »Das bisschen, was der Doktor kann, kann ich schon lange. Ich gehe nicht zum Zahnarzt, ich habe mir schon selber zwei Zähne gezogen. Ein Bindfaden, Mädchen, fest an die Türklinke gebunden, und dann ein Ruck, und der Zahn ist draußen. Und Knochenbrüche, die habe ich immer selber geheilt. Da muss man nur aufpassen, dass die Stücke richtig zusammenkommen, und den Rest macht die Natur.«
    Bevor der Sanitäter zu einem Telefon gehen konnte, um einen Krankenwagen zu bestellen, erschien Becker mit dem Pferdewagen auf dem Sportplatz. Wir rissen die Ballonhülle vorsichtig aus den Bäumen, in denen sie sich verfangen hatte, und packten alles auf den Wagen. Drei der Fußballer hoben dann Manolow mit Hilfe der Holzbalken von der zerstörten Barriere auf den Wagen und legten ihn vorsichtig auf die Ballonseide. Babsy fragte Bernhard, ob er mitkommt, sie wollte den Alten nach Hause begleiten, um ihm zu helfen. Bernhard schüttelte den Kopf und sagte voller Hass: »Nein.« Sein Gesicht war noch immer ganz bleich. Ich fragte Babsy, ob ich mitkommen soll. Sie streichelte Bernhard über den Kopf und sagte zu mir: »Ja, komm. Wir werden dem Alten helfen.«
    In der folgenden Woche hörte ich, dass Manolow angezeigt worden ist wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und wegen Vandalismus und mutwilliger Zerstörungdes im Nationalen Aufbauprogramm errichteten Sportplatzes. Wer ihn angezeigt hatte, habe ich nie erfahren, vielleicht war es der Schiedsrichter. Es kam zu keiner Verhandlung, der Alte musste lediglich die Kosten für die Reparaturen des Tores und der Holzbarriere bezahlen. Der Ballon wurde von der Polizei beschlagnahmt, weil mit seiner Hilfe eine Straftat begangen wurde. In der Stadt waren sich alle einig, dass der Ballon ihm deswegen weggenommen wurde, weil er damit über die Grenze hätte segeln können, die zwei Jahre zuvor mit Mauer und Stacheldraht dichtgemacht worden war. Manolow hat zu alldem nur gelacht. Er hat acht Wochen daheim zugebracht, und später humpelte er, weil der Knochen falsch zusammengewachsen und sein rechtes Bein etwas kürzer war als das linke. Wenn ich ihn traf, fragte er mich immer nach Babsy, auch noch Jahre später, sie hatte ihn sehr beeindruckt.
    Anfang Oktober, an einem Donnerstag, verschwand Babsy. Am Vortag hatte sie sich von mir verabschiedet, sie machte es so leichthin, dass ich glaubte, sie will die Stadt für einige Tage verlassen, um nach ihrer Band zu sehen oder zu ihren Eltern zu fahren.
    »Und wann kommst du zurück?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht. Die Saison beginnt, Kathi, wir müssen Geld verdienen, und vor allem, ich will wieder auftreten. Ich brauche die Bühne.«
    »Gibst du mir deine Adresse? Vielleicht besuche ich dich. Auf jeden Fall können wir uns Briefe schreiben.«
    »Ich

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