Landnahme
habe.
Der alte Haber hat sich dann wieder eine Werkstatt aufgebaut, die er sicherlich nicht selber bezahlt hat, vermutlich half ihm damals der Rat der Stadt oder die Kirche, denn der Pfarrer hatte ihm zuvor verschiedene Aufträge gegeben. Die Versicherung, so hörte ich, musste ihm keinen Pfennig zahlen, da man in einer Holzscheune keine mit Diesel betriebenen Maschinen aufstellen darf. Viele Kunden hatte er nie. Die anderen Umsiedler bestellten wahrscheinlich bei ihm, und von ein paar Bauern aus den Dörfern rings um Guldenberg bekam er Aufträge, weil er alles annahm und billig war, doch die Guldenberger gingen nicht zu ihm. Sie gaben sich nicht gern mit Flüchtlingen ab, und Haber hatte die ganze Stadt der Brandstiftung beschuldigt, so dass man es für unter seiner Würde hielt, ihm noch ein Almosen zukommen zu lassen.
Ende der fünfziger Jahre schien er es geschafft zu haben. Er hatte einige Aufträge und konnte ab und zu sogar einenGesellen beschäftigen, den er als Krüppel dringend benötigte. Doch dann hatte er einen Unfall, der ihn fast den Kopf kostete, und lag vier Wochen im Krankenhaus. Eines Abends muss ihm in der Werkstatt ein Holz auf den Kopf gefallen sein, was bei einem Einarmigen leicht passieren kann. Er hatte Glück, denn ein Nagel von einem Zoll Länge hatte in dem Kantholz gesteckt und wäre ihm um ein Haar in den Hinterkopf gefahren, so blieb es bei einem doppelten Schädelbruch. Der alte Haber beschuldigte wiederum irgendeinen Unbekannten, der ihn habe umbringen wollen, aber er hatte dafür keinerlei Beweise.
Bernhard ließ sich in dieser Zeit nicht bei seinen Eltern sehen, er war mit dem Vater aneinander geraten und seitdem nicht mehr in Guldenberg aufgetaucht. Als der Alte eine Woche aus dem Krankenhaus zurück war, da erhängte er sich plötzlich. Weshalb er sich aufgebaumelt hat, war damals allen ein Rätsel. Vielleicht hatte er Schulden, hieß es, oder es war sein fehlender Arm, der ihm die Schlinge knüpfte.
Die Polizei untersuchte den Selbstmord, es kamen sogar Kriminalpolizisten aus der Kreisstadt, doch das war bei Selbstmord Vorschrift und besagte nichts. Die Kriminalpolizisten kamen damals zu zweit und blieben eine ganze Woche in der Stadt. Irgendetwas mussten sie gefunden haben, das sie misstrauisch machte, und ein paar Leute wurden ins Revier bestellt und hatten Fragen zu beantworten. Und wie immer bei solchen Gelegenheiten kochten die Gerüchte hoch. In den Kneipen wurde von Mord gesprochen und von irgendwelchen Beweisen, ich hörte sogar Namen, die in diesem Zusammenhang genannt wurden, ein Konkurrent vom alten Haber wurde erwähnt, und Andeutungen über zwei Nachbarn fielen. Keiner sagte die Namen laut, und bei der Kriminalpolizei schwiegen sich alle aus. Man wäscht seine Dreckwäsche nicht vor Fremden. Der alte Haber war nicht beliebt in der Stadt, er warein Umsiedler, ein Vertriebener, ein Habenichts, aber dass der Hass bei irgendjemandem so weit ging, ihn zu ermorden, das konnte und wollte ich damals nicht glauben. Arbeit gab es für alle genug, und der Einarmige nahm bestimmt keinem etwas weg, zumal er kaum einen Kunden in der Stadt hatte. Keiner hatte je mehr als zwei Worte mit ihm gewechselt, man nickte ihm zu und ging dann seiner Wege. Schließlich gehörte er nicht hierher.
Die uralte Geschichte vom Brand der Werkstatt wurde wieder untersucht und ebenso seine Beschuldigung, die er im Krankenhaus vorgebracht hatte, dass seine Kopfverletzung nicht von einem Unfall, sondern von einem Mordversuch herrühre. Nach fünf Tagen gaben die Beamten die Leiche frei und zogen unverrichteter Dinge ab. Haber wurde auf der Selbstmörderecke unseres Friedhofes beigesetzt, und das war für alle der letzte Beweis, dass er nicht ermordet wurde. Der Platz hinter der Pumpe und dem Komposthaufen auf dem Friedhof hieß Selbstmörderecke. Früher wurden dort alle Selbstmörder beigesetzt, doch nach dem Krieg war das verboten, und die Selbstmörder sollten nicht mehr auf einem für sie bestimmten Platz beerdigt werden. Den Namen Selbstmörderecke gab es offiziell nicht mehr, aber kein Mensch in der Stadt ließ sich auf jenem Platz hinter der Pumpe beerdigen, und die Selbstmörder wurden weiterhin dort bestattet.
Zwei Jahre nach dem alten Haber starb die Mutter von Bernhard. Sie wurde neben ihrem Mann beerdigt und war damit die erste Person, die nicht durch eigene Hand umkam und trotzdem dort ihren letzten Ruheplatz fand. Sie war eine Umsiedlerin, und denen machte so etwas nichts
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