Landnahme
aus.
Bernhard wohnte zu dieser Zeit nicht in Guldenberg. Ich hörte, er betreibe ein Rummelplatzgeschäft, eine Schießbude oder ein Karussell, und sei deswegen immer unterwegs, jedenfalls ließ er sich nicht mehr in der Stadt sehen. Er wollte wohl etwas Gras darüber wachsen lassen, und daswar auch bitter nötig, denn nachdem er die Schule verlassen hatte, klopfte er eine Zeit lang auf der großen politischen Pauke herum und machte sich den Bauern verhasst, denen er mit den Parteigenossen auf die Pelle rückte, um sie zum Eintritt in die Genossenschaft zu nötigen. Er hatte damit nicht nur sich geschadet, sondern allen Vertriebenen, denen man seinetwegen noch mehr gram wurde als zuvor, wenn das überhaupt möglich war. Mit seinem alten Herrn hatte er sich deswegen überworfen, hörte ich, und als Bernhard dann auf dem Rummel zu arbeiten anfing statt in der Werkstatt des Vaters, kam es zum offenen Bruch zwischen ihnen. Doch das sind Geschichten, die ich alle erst viel später hörte, denn zu der Zeit kannte ich ihn nicht näher.
Anfang der sechziger Jahre bekam ich aus dem Rathaus die Mitteilung gesteckt, dass Bernhard Haber in der Ritterstraße eine Tischlerei aufmachen wolle. Er habe den Bauernhof von Morak übernommen, der mit der Familie in den Westen gegangen war, und mit zwei Maurern begonnen, ihn umzubauen. Sein Freund Hermsdorf hatte beim Rat den Gewerbeschein für eine Tischlerei beantragt, da der junge Haber noch nicht seinen Meister hatte. Hermsdorf war Meister und lebte von einer Invalidenrente, denn er hatte sich drei Jahre zuvor die Finger der rechten Hand abgesägt. Allen war klar, dass Hermsdorf der Strohmann für Bernhard Haber war, doch da alles rechtens war, konnte keiner etwas dagegen sagen. Und ich war zufrieden, denn ein neuer Tischler am Ort brachte mir einen weiteren Kunden.
Anfangs nahm man den jungen Haber nicht ernst, und dass er ausgerechnet mit einem Krüppel seine Tischlerei eröffnen wollte, wo schon sein Vater ein einarmiger Tischler war, wurde viel belacht. Man sagte ihm voraus, dass seine Werkstatt nach zwei Jahren bankrott sei oder abgebrannt und er genauso enden werde wie sein alter Herr. An diesem Geschwätz beteiligte ich mich nie. Eine Tischlerwerkstatt bedeutet für mich einen Auftraggeber. Im Oktoberhörte ich von seinem Plan, und im Dezember schickte ich ihm den neuen Wandkalender zu, den ich für meine Stammkunden drucken ließ.
So ein Kalender war damals etwas Besonderes. Es war schon schwierig, jedes Jahr einen neuen Kalender zu bekommen, denn es war alles knapp, aber einen, auf dem auf jeder Seite der Name meines Sägewerks stand und den nur fünfzig Leute zu Weihnachten erhielten, das gab es in Guldenberg nicht ein zweites Mal. Wer ihn erhielt, war darauf stolz und hängte ihn sich dorthin, wo ihn seine Kunden sehen konnten. Zwei Jahre später ließ ich schon hundert Stück drucken, denn alle aus der Verwandtschaft wollten ihn haben und ein paar Bekannte, die zwar kein Holz bei mir bestellten, mir aber auf andere Art nützlich waren. Natürlich verschenkte ich den Kalender, obwohl der Druck nicht billig war, nicht umsonst nannten die Buchdrucker ihr Gewerbe die schwarze Kunst. Mein Einfall mit den Kalendern zahlte sich aus. Manchmal wurde ich schon im Sommer gefragt, ob es ihn im nächsten Jahr wieder gäbe, und einmal berichtete sogar unsere Zeitung darüber mit einem Bild von mir und dem Kalender.
Haber kam zwischen den Jahren zu mir. Er rief an, und ich sagte, ich hätte das Geschäft bis Neujahr geschlossen, doch wenn er Zeit habe, solle er kommen. Die Arbeiter hätten Urlaub und der Sägebetrieb stehe still, ich würde mit der Frau den Jahresabschluss für die Buchhaltung aufarbeiten und jeden Tag im Büro sein. Er war über eine Stunde bei mir. Ich lief mit ihm das Sägewerk ab, zeigte ihm meine Maschinen und die verschiedenen Lager für das Holz, und seine Fragen zeigten, dass er etwas gelernt hatte. Er fragte nach den Holzpreisen, und ich gab ihm die Liste, sagte auch, dass ich für Stammkunden Rabatte habe und es darüber hinaus mancherlei Möglichkeiten gebe, um die Kosten zu drücken.
»Du verstehst?«, fragte ich.
Er nickte und sagte: »Genau das meinte ich. Die Selbständigen müssen zusammenhalten, sonst zieht ihnen der Fiskus die Haut vom lebendigen Leib.«
Er lächelte nicht, als er das sagte, und da wusste ich, dass die Leute Unrecht hatten. Bernhard Haber würde mit seiner Tischlerei nicht baden gehen. Der Kerl hatte Kraft und
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