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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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unumgänglich, Haber, wenn wir kleinen Geschäftsleute uns behaupten wollen. Und wenn wir uns einig waren, da haben wir in den letzten Jahren einiges erreicht, auch beim Bürgermeister. Er übergeht uns nicht mehr, er hört uns zu.«
    »Einigkeit macht stark«, verkündete Haber. So wie er es sagte, klang es pathetisch und voll Hohn.
    »So ist es«, erwiderte ich und lachte.
    »Und die Partei hat nichts gegen euren Klub? Es klingt wie ein Geheimbund.«
    »Vier von uns sind in der Partei. Genauer gesagt, in allen möglichen Parteien. Darum musst du dir keine Sorgen machen. Im Kegelklub bleibt die Politik außen vor. Alles, was wir bereden, bleibt unter uns. Schließlich hat jeder sein Geschäft zu führen, und da sitzt einem das Hemd näher als der Rock. Wer sollte etwas dagegen haben, dass wir uns um unsere Stadt bemühen? Genau genommen kümmern wir uns um das Gemeinwohl.«
    »Ich glaube, kegeln würde mir gefallen. Frag sie, deine zwölf Aufrechten, ob sie mich aufnehmen.«
    Wir tranken unser Bier aus. Haber bot mir noch einen Schluck an. Da ich mit dem Laster gekommen war und ihn zurückbringen musste, legte ich abwehrend die Hand über das Schnapsglas.
    Es gab Einwände und Bedenken, Haber in den Kegelklub aufzunehmen. Beuchler sagte, Haber habe sich hinten anzustellen, schließlich wollten noch andere Geschäftsleute aus Guldenberg in den Klub, und Pichler, dem der Adler und die Kegelbahn gehörten, erinnerte an Habers Auftritt bei der Kollektivierung. Er sei bei seinem Schwiegervater dabei gewesen, habe stundenlang vor dem Gehöft gestanden und den alten Mann tyrannisiert. Sogar bei Griesel sei er dabei gewesen, der nach dem Krieg die Habers aufgenommen hatte.
    »Jugendsünden«, sagte ich, »jetzt muss er mit uns zurechtkommen und wir mit ihm.«
    »Und wer sagt dir, dass er nicht wieder auf die politische Pauke haut?«
    »Wer mir das sagt? Der Junge will seine Tischlerei aufbauen, dafür reicht eine Zustimmung vom Rat nicht aus. Er wird mit uns auskommen müssen, sonst verhungert er anunserem ausgestreckten Arm. Und wenn wir ihn in den Kegelklub nehmen, werden wir ihn uns erziehen.«
    Es gab eine förmliche Abstimmung, acht waren dafür, ihn aufzunehmen, zwei dagegen, und zwei enthielten sich der Stimme.
    »Aber vergessen werde ich es ihm nicht, die Sache mit meinem Schwiegervater«, sagte Pichler.
    »Was willst du? Deinem Alten gehts besser als früher. Er hat einen Achtstundentag und Urlaub. Und wenn er krank ist, bleibt er im Bett. So hat er noch nie gelebt. Das hast du selbst gesagt.«
    »Das ist das eine, das andere ist, dass man ihn dazu gezwungen hat. Das sind zwei Paar Schuhe.«
    »Stiefel.«
    »Was?«
    »Es sind zwei Paar Stiefel, heißt es.«
    »Geh mir nicht auf die Nerven, Sigurd. Bei mir heißt es Schuhe. Ich trage keine Stiefel.«
    Haber verstand es, sein Geschäft aufzubauen. Mit den Leuten zu reden, überließ er Hermsdorf und seiner Frau, denn allzu umgänglich war er nun einmal nicht, und anders als seinem Vater glückte es ihm, auch die Guldenberger als Kundschaft zu gewinnen. Er arbeitete gut und preiswert, wie ich hörte, und mit seinen Maschinen konnte er Großaufträge an Land ziehen, die man den anderen Tischlern nicht zutraute. Er wurde für mich ein solider Kunde, und nach vier Jahren, als er seinen Meister hatte und das Geschäft unter seinem Namen lief, war er unter allen Tischlern der Region, die bei mir bestellten, mein wichtigster Partner. Als er das Haus am Neumarkt kaufte und herrichtete, wurden wir sogar Nachbarn. Es wurde zur Gewohnheit, dass wir uns gegenseitig zu den Familienfesten einluden, und Silvester verbringen wir seitdem zusammen im Adler, daran hat sich bis heute nichts geändert. Haber hat einen eigentümlichen Humor, wenn er einen Jux macht, dann mussman höllisch aufpassen, um die Pointe zu verstehen, und ich habe ihm mehr als einmal gesagt, er solle an seine Witze ranschreiben, dass es Witze seien, weil er ansonsten die Leute verschreckt.
    Im Kegelklub führte er sich gut ein. Ein halbes Jahr lang hörte er zu, kegelte anständig, trank sein Bier und nahm selten das Wort. Pichler und er gingen sich aus dem Weg. Einen politischen Rappel wie damals, als er als Halbwüchsiger mit den Agitatoren herumgezogen war und Leute belästigt hatte, bekam er nicht mehr, und ich konnte mir nicht vorstellen, wieso es bei ihm überhaupt je dazu hatte kommen können. Er war ein vernünftiger Mann, der sein Handwerk beherrschte und auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Er war

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