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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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auf einen ihrer Sessel setzte. Bernhard schien genau das zu gefallen. Ich sagte ihm damals, dass ich mich nicht wundern werde, wenn er in zehn Jahren einen dicken Bauch und eine Glatze hat. Er hat gelacht, und als ich ihn zehn Jahr später bei einem Familientreffen sah, hatte er bereits einen ansehnlichen Bauch. Ich denke, Babsy wäre sehr erstaunt,wenn sie ihn gesehen hätte. Sie hatte ja wirklich einen Blick für Männer, doch bei Bernhard hatte sie nicht gesehen, dass er von einem kleinen Spießbürgerglück träumte. Der Kerl, mit dem sie damals ging und den ich verführt hatte, den gab es ein paar Jahre später nicht mehr. Seine Werkstatt lief immer besser, und er und Rieke wurden richtig reich, jedenfalls waren sie es für die Leute in Guldenberg. Wie Rieke stolz erzählte, sei ihr Bernhard eine wichtige Person in der Stadt, und im Rathaus würde man nichts entscheiden, ohne ihn zuvor gefragt zu haben.
    Die beiden bekamen zwei Kinder, zuerst ein Mädchen, die Sibylle, und acht Jahre später ihren Paul, und beide Kinder waren maulfaul und bösartig. Als Rieke sechzig wurde, war das Enkelkind, das Sibylle genau an diesem Tage zur Welt brachte, ihr schönstes Geburtstagsgeschenk. Ich habe mir dieses Enkelkind angesehen, es sah schon als Baby maulfaul und bösartig aus, obwohl doch alle Babys schön sein sollen.
    Bei diesem Besuch habe ich Rieke gefragt, ob sie ihren Bernhard nicht wenigstens einmal betrogen hat. Sie war hell empört. So etwas ist ihr nie in den Sinn gekommen, sagte sie entrüstet, und ich glaube ihr aufs Wort. Auf ihre Art und für ihr Leben hatte sie mit ihm das große Los gezogen, auch wenn er sich für mich als eine Niete herausstellte.

Sigurd Kitzerow
    Bernhard Haber lernte ich erst kennen, als er seine Tischlerei aufmachte. Wir sind uns gewiss früher bereits über den Weg gelaufen, aber ich habe ihn nicht wahrgenommen. Er war zwei Jahre jünger als ich und in der Schule drei oder vier Klassen unter mir, da konnte es keine Gemeinsamkeiten geben. Sicher hatte auch er in der Schule den Spitznamen Holzwurm bekommen, denn den erhielten alle, deren Väter Tischler waren oder Sägewerksbesitzer wie mein Vater. In der Schule habe ich nie mit ihm gesprochen. Mit den Kleinen hatten wir nichts zu tun, und wenn dann einer hängen geblieben war und eine Klasse nochmals absitzen musste, war das erst recht kein Grund, sich mit ihm abzugeben. Außerdem war er einer von den Vertriebenen, und diesen Leuten gingen wir aus dem Weg. Sie besaßen nichts und ließen sich alles von der Stadt schenken, sie lebten auf unsere Kosten. Wenn einer von denen bei Vater Holz bestellte, verlangte Vater, dass die Rechnung bezahlt wird, bevor er anliefert, denn diese Leute hatten kaum eine Hose auf dem Arsch, und alles was sie konnten, das war herumzujammern und Rechnungen nicht zu bezahlen. Wenn man ihnen zuhörte, dann musste jeder von ihnen ein Rittergut in Pommern oder Schlesien besessen und verloren haben. Und so viele Rittergüter, wie sie sagen und für die man sie entschädigen soll, hätten in ganz Deutschland keinen Platz, sagte Vater. Auf jeden Fall wollte er immer erst Bares sehen, bevor er die Flüchtlinge belieferte, um nicht später seinem Geld hinterherlaufen zu müssen.
    Bernhards Vater erschien häufiger auf dem Sägeplatz, und mit ihm hatte Vater zu tun, denn der alte Haber war Tischler und bestellte bei uns ab und zu Holz. Er war einarmig, darüber machte Vater unendlich viele Witze, über diewir alle lachen mussten, denn ein einarmiger Tischler, das war schon ein Kuriosum. Mit einem Arm konnte der alte Haber vielleicht eine Latte halten, aber ganz gewiss keins der Kanthölzer aufheben, die wir ihm lieferten. Er muss trotzdem sehr geschickt gewesen sein mit dem einen Arm, denn irgendwie kam er über die Runden, auch wenn er viel Pech hatte. Eine Werkstatt brannte ihm ab, und es lief überhaupt nicht gut für ihn. Bei dem Brand hatte er wüste Vermutungen ausgestoßen, die ihm nicht viele Freunde in der Stadt machten, wenn er überhaupt je einen besessen hatte. Holz brenne nun einmal, hatte Vater damals gesagt, da reiche ein Streichholz aus, aber die Vertriebenen seien zu blöd, um das zu begreifen, von denen könne nicht einer zwei und zwei zusammenzählen. Was da in Pommern und Schlesien gelebt habe, das seien Deppen und Faulpelze gewesen, die nichts Besseres verdient hätten. Nur dass sie ausgerechnet nach Guldenberg gekommen seien, das sei eine Strafe Gottes, die diese arme Stadt nicht verdient

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