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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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sprach er darüber, dass irgendjemand den Hund eines unserer Mitschüler umgebracht habe, und er hoffe, dieser Unbekannte, gleichgültig, ob es ein Schüler oder ein anderer Bewohner der Stadt sei, würde den Mut haben, sich zu melden und sich bei Bernhard Haber entschuldigen.
    »Es ist mir zu Ohren gekommen«, fuhr er fort, »dass Bernhard Haber gegen diesen Unbekannten finstere Drohungen ausgestoßen hat. Damit hast du deine Mitschüler eingeschüchtert und in Angst und Schrecken versetzt«, sagte er und wandte sich direkt an Bernhard. »Das will und darf ich nicht hinnehmen. Ich habe nicht allein für eureAusbildung und Erziehung zu sorgen, sondern bin auch verantwortlich für den Schutz und die Sicherheit eines jeden von euch.«
    Dann sprach er sehr lange darüber, dass er für alle Schüler seiner Schule zuständig sei und ihre Unversehrtheit zu sichern habe, wofür er alle nötigen Rechte besitze. Wie ein Kapitän eines Passagierschiffes habe er die Hauptverantwortung zu tragen, aber ebenso uneingeschränkt besitze er als Direktor für seine Schule alle Rechte. Falls Gefahr im Verzuge sei, vertrete er die Staatsgewalt in seinem Haus, und er werde nicht zögern, bei Bedarf seine ihm zugesprochene Macht zu nutzen, um Schaden von den ihm anvertrauten Kindern abzuwehren.
    Alle in der Klasse verstanden, wem die Ansprache des Direktors galt, zumal er Bernhard hatte aufstehen lassen, aber keiner von uns konnte sich eine Vorstellung von jenen Machtmitteln machen, die dem Direktor angeblich zur Verfügung standen und die er gegen uns oder gegen Bernhard einsetzen konnte. Dass der Direktor sich mit einem Kapitän verglich, fand unsere Aufmerksamkeit, und wir diskutierten später lange über diese Äußerung, die uns rätselhaft war, da wir den kleinen blassen Mann nie als einen sonnengebräunten Seebär in einer prächtigen weißen Uniform gesehen hatten, und von der Staats- und Polizeigewalt eines Kapitäns wussten wir, dass er Leute auf seinem Schiff verheiraten und Nottaufen vornehmen durfte und Verstorbene auf hoher See den Wellen übergeben. Da keines dieser Ereignisse an unserer Schule zu erwarten war, wurde in den folgenden Tagen über die unserem Direktor zukommenden Gewalten auf dem Schulhof ergebnislos debattiert. Wir konnten nichts Seemännisches an unserem kleinwüchsigen Direktor entdecken, und unwidersprochen blieb schließlich die Bemerkung eines Mitschülers, der der Ansicht war, Herr Engelmann habe ursprünglich zur See fahren wollen, sei wegen seiner Größe abgelehnt worden und führe nunhinter der für uns verschlossenen Tür zum Lehrerzimmer ein seemännisches Kommando. Jedenfalls sprachen wir seit dem Tag nur noch vom Käptn, wenn wir über den Direktor sprachen.
    Nachdem er seine Ansprache beendet hatte, sah Herr Engelmann Bernhard Haber erwartungsvoll an und forderte ihn schließlich auf, sich zu erklären, da der Junge ihn unbewegt und scheinbar unbeeindruckt ansah. Bernhard zuckte gelangweilt mit den Schultern und fragte: »Darf ich mich setzen?«
    Fräulein Nitzschkes Gesicht erschien hinter der Schulter des Direktors, der einen ganzen Kopf kleiner als sie war. Hochrot und erregt verlangte sie von Bernhard, sich zu entschuldigen, zweimal zu entschuldigen, einmal für die Frechheit, in dieser Art dem Direktor zu antworten, und zum anderen für die ausgesprochene Drohung, mit der er seine Klassenkameraden beunruhigt habe und für die es eigentlich keinerlei Entschuldigung gäbe. Der Direktor legte Fräulein Nitzschke beruhigend eine Hand auf den Arm und bedeutete ihr, ihm diesen Fall zu überlassen.
    »Du hast deine Schulkameraden bedroht«, sagte er zu Bernhard, während wir atemlos dem Geschehen folgten, »das ist ungeheuerlich.«
    »Nein«, erwiderte Bernhard und sah mich dabei an.
    »Und feige bist du auch noch.«
    Bernhard schüttelte langsam den Kopf und blickte auf den Fußboden.
    »Ich habe gesagt«, begann er. Er stockte und unterbrach sich selbst, um schließlich hervorzustoßen: »Irgendjemand hat Tinz umgebracht, meinen Hund.«
    »Das ist schlimm und sehr bedauerlich«, sagte der Direktor, »aber es ist kein Grund, deine Mitschüler in Furcht und Schrecken zu versetzen.«
    Bernhard sah stumm auf seine Schuhe.
    »Sieh mich an! Hast du mich verstanden?«
    Bernhard nickte ohne aufzusehen.
    »Dann sag hier, hier vor allen anderen, dass du deine dumme Äußerung bedauerst. Dass du leichtsinnig und völlig unüberlegt etwas gesagt hast, das dir Leid tut.«
    Bernhard biss die Zähne zusammen

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