Landnahme
Badestrand auslieh, an der Straßenböschung. Als er zurückkam, den kleinen Spaten im Flusswasser säuberte und den Kindern zurückgab, sagte er: »Das Tier hat man umgebracht. Mit einer Drahtschlinge. Schad drum. Wer macht so etwas?«
Er erkundigte sich, ob jemand das Tier und seinen Besitzer kannte. Es meldeten sich mehrere Mädchen, und der Mann sagte, sie sollten zu dem Hundehalter hingehen und ihm Bescheid geben. Sie sollten ihm sagen, er habe das Tier sofort vergraben müssen, denn es sei schon seit einigen Tagen tot, und wo er ihn vergraben habe, wüssten sie ja. Sie sollten dem Jungen, dem der Hund gehört hatte, die Stelle zeigen, er habe einen Eschenzweig darauf gelegt. Doch sie sollten ihm einschärfen, dass er seinen Hund nicht ausgraben dürfe, wenn er sich nicht die Krätze holen wolle, denn das Tier sei bereits stark verwest.
Zwei Mädchen liefen sofort los, um Bernhard Haber zu suchen und ihm die Nachricht vom Tode seines Hundes Tinz zu überbringen. Wie Bernhard auf diese Mitteilung reagierte, habe ich nie erfahren. Ich sah ihn in diesem Sommer nicht. Während der Ferien sah ich ihn nie. Vielleicht verreiste er oder besuchte Verwandte und Freunde in Polen, obwohl ich nicht glaube, dass seine Familie das Geld für eine so weite Fahrt aufbringen konnte. Ich vermutete, dass er in allen Ferien seinem Vater in der Werkstatt helfenmusste und darum nie in der Stadt zu sehen war und nicht zu unserer Badestelle kam.
Am ersten Schultag des neuen Schuljahres, Fräulein Nitzschke hatte uns wieder umgesetzt, und ich war zusammen mit Bernhard auf die zweite Bank in der Mitte gekommen, gleich in der ersten kurzen Pause, drehte er sich zu mir und sagte leise: »Hör zu. Ich sage es dir und allen.«
Dann schwieg er und fixierte mich böse. Ich bemühte mich, seinem Blick standzuhalten und sagte möglichst gelassen: »Warum flüsterst du? Wenn du es allen sagen willst, musst du schon lauter sprechen.«
Er atmete tief durch und sagte dann genauso leise: »Hör zu. Denjenigen, der Tinz umgebracht hat, den bringe ich um. Sag das den anderen.«
Ich nickte erschrocken und wurde knallrot, als ob ich es gewesen wäre, der seinen Köter getötet hatte. Bernhard sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ich zog meinen Schulranzen unter der Bank hervor und tat, als würde ich etwas suchen. Ich spürte, dass er mich immer noch anstarrte, und wagte nicht, den Kopf zu heben.
»Was weißt du davon, Thomas?«
»Nichts. Nichts weiß ich. Was soll ich denn wissen?«
Er sah mich an und schwieg und wartete.
»Ich wusste gar nicht, dass dein Hund tot ist«, log ich. »Hat man ihn wirklich umgebracht? Vielleicht ist er einfach so gestorben.«
Bernhard sah mich an.
»Das kann nur ein Verrückter gewesen sein, Bernhard. Ganz sicher ein Verrückter, aber keiner aus unserer Klasse.«
Ich stieß die Worte hastig hervor. Die Vorstellung, Bernhard würde einen meiner Klassenkameraden totstechen oder irgendwie anders umbringen, ließ mich frösteln. Er hatte es so leise und kalt gesagt, dass ich davon überzeugt war, er würde seine Ankündigung wahr machen.
Wer seinen Tinz mit einer Drahtschlinge umgebracht hat,wurde nie bekannt, jedenfalls habe ich weder damals in Guldenberg noch später etwas darüber gehört. Wie Bernhard es mir befohlen hatte, informierte ich meine Mitschüler in der nächsten Hofpause über seine Ankündigung. Die Jungen lachten darüber, aber ich spürte, dass sie nicht an der Ernsthaftigkeit seiner Drohung zweifelten. Die Mädchen dagegen waren verängstigt und schnatterten tagelang über Bernhard und seinen toten Hund. Irgendwann hieß es in der Klasse, ein Mann aus der Siedlung oder aus einer der Schnitterkasernen, ein Umsiedler, habe Tinz umgebracht, doch das war nichts als ein Gerücht, denn ich hörte nie einen Namen, und keiner konnte etwas Genaueres sagen, auch erfuhr ich nie, wer das Gerücht aufgebracht hatte. Eigentlich waren durch den Tod des Hundes und mehr noch durch die ausgesprochene Drohung alle in der Klasse aufgeregt, alle bis auf Bernhard Haber. Er sagte nie wieder etwas über seinen Hund. Wenn ein Mädchen ihm sagte, wie sehr es den Tod von Tinz bedauere, und dass es abscheulich und ein Verbrechen sei, einen kleinen unschuldigen Hund umzubringen, sah er es verständnislos an und wandte sich wortlos ab.
Drei Wochen später kam Herr Engelmann, der Direktor, in unsere Klasse. Er stellte sich vor den Lehrertisch, an dem Fräulein Nitzschke saß, und bat Bernhard Haber aufzustehen. Dann
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