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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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war.
    »Gehst du?«
    »Ja.«
    »Na, ich glaube, ich muss auch nach Hause. Es wird ja langsam stockfinster. Ein Stück können wir zusammen gehen, jedenfalls bis zum Paradeplatz.«
    Er gab keine Antwort. Für einen Moment blieb er stehen, das blecherne Geklingel, das die metallbeschlagenen Holzräder vollführten, verstummte, dann lief er wortlos weiter. Ich hielt den Sack mit beiden Händen, über die Schulter wollte ich ihn nicht werfen, um mich nicht vollständig einzusauen, und lief ihm hinterher.
    »Schmeiß ihn rauf«, sagte Bernhard ohne anzuhalten und wies mit dem Daumen auf den Handwagen.
    Ich warf den Sack auf den Wagen, fasste am vorderen Querholz der Deichsel an, wo er früher den Hund eingeschirrt hatte, und half ihm ziehen. Auf unserem Weg wurden wir dreimal von dem Laternenanzünder überholt. Er fuhr mit dem Fahrrad an uns vorbei, seine lange Stange, mit der er die Gaslampen anzündete, hatte er in den Fahrradrahmen eingehängt. An den gusseisernen Laternenmasten hielt er an, zog umständlich die Stange aus der Halterunghervor, fädelte die gebogene Spitze seiner Stange in den kleinen Metallring ein, der neben dem Glaskolben der Gaslampe hing, und zog ihn ein Stück herunter, wodurch der kleine glimmende Gasstrumpf hell aufflammte.
    Ich überlegte, was ich mit meinem Sack machen sollte. Am besten wäre es, wenn Bernhard ihn mitnehmen würde, denn ich wusste nicht, was Vater sagen würde, wenn ich mit diesem Dreck zu Hause ankäme. Außerdem musste mir eine Ausrede einfallen, weil ich zu spät kam und völlig verdreckt war.
    »Hast du Tiere zu Hause?«
    Bernhard war unvermittelt stehen geblieben und überraschte mich mit seiner Frage.
    »Tiere? Was meinst du? Was für Tiere?«
    »Na, Tiere eben.«
    »Einen Hund oder so?«
    »Ja.«
    »Nein, wir haben keinen Hund. Wir haben keine Tiere. Nur ein Kätzchen. Mein Vater ist kein Bauer. Er ist Apotheker. Ihm gehört die Apotheke am Markt, die Löwenapotheke.«
    »Weiß ich. Trotzdem könnt ihr Tiere haben. Eine Kuh ist gut, oder eine Ziege, wegen der Milch. Am besten ist ein Schwein, das kostet nichts. Das Fressen für ein Schwein, das fällt nebenbei ab. Ein Schwein, sagt mein Vater, kann jeder großziehen.«
    »Nein, haben wir nicht. Eine Katze haben wir, das ist alles.«
    »Eine Katze, was soll das? Wenn es wenigstens ein Hund wäre, so ein scharfer Wachhund. Was willst du mit einer Katze anfangen?«
    »Meine Mutter wollte sie. Das Kätzchen liegt den ganzen Tag auf dem Sofa herum.«
    »Und was macht ihr mit den Essensresten? Schmeißt ihr die einfach weg?«
    »Nein. Tine nimmt sie mit. Das ist unsere Haushaltshilfe.«
    »Ach so. Sonst hätte ich sie abholen können. Ich meine, bevor ihr sie wegschmeißt.«
    »Wenn du willst, ich kann mit meinen Eltern sprechen, dann könntest du sie dir holen.«
    »Neenee, lass mal.«
    »Habt ihr denn ein Schwein?«
    »Ja. Sicher.«
    »Wie gesagt, Bernhard, wenn du willst. Ich gebe zu Hause Bescheid, dann kannst du die Reste für dein Schwein bekommen.«
    »Wenn es eure Frau bekommt, geht das in Ordnung. Ich meinte, ehe ihr alles wegschmeißt.«
    So überraschend, wie er stehen geblieben war, zog er wieder an der Deichsel und riss mich fast um. Ich bemühte mich, mit ihm im Gespräch zu bleiben, er antwortete einsilbig oder schwieg. Am Paradeplatz blieb er stehen und wartete, bis ich meinen Sack vom Wagen genommen hatte. Ich fragte, ob ich ihm den alten Sack wiederbringen sollte. Bernhard ließ die Deichsel auf die Erde fallen, kam zu mir, betrachtete die Knoten, die ich geknüpft hatte, stocherte mit dem Finger in einem der Löcher und sagte dann, ich solle ihn wegschmeißen, er sei nicht mehr zu gebrauchen. Er nahm die Deichsel auf und zog mit dem Handwagen weiter.
    An der kleinen Gärtnerei warf ich den Sack in den Straßengraben, ich konnte nicht mit ihm daheim erscheinen. Vater wäre fassungslos, wenn ich mit diesem Dreck ankäme, er würde an meinem Verstand zweifeln. Ich war erleichtert, als ich ihn in das dürre, blattlose Gesträuch geworfen hatte. Nach ein paar Schritten kehrte ich um, knüpfte ihn auf und verstreute den Inhalt portionsweise über die Baumwurzeln. Den leeren Sack steckte ich in eine vor sich hin rostende Öltonne vor der Gärtnerei.
    Am nächsten Morgen nickte ich Bernhard zu und grüßteihn herzlich, er verlor kein Wort über unsere Aktion und war so wortkarg wie immer. In meiner Klasse hieß er Holzwurm oder Holzwürmchen. Ich glaube nicht, dass er das wusste, denn so nannten wir Bernhard nur

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