Landnahme
sah zu, wie er mit den bloßen Fingern in dem schwarzen Staub wühlte, um winzige Kohlenstückchen herauszusuchen. Bernhard kümmerte sich nicht um mich. Er hatte mich flüchtig wahrgenommen und ließ den Blick nicht von seinen Händen, die er vorsichtig hin und her bewegte, während der dunkle Kohlenstaub durch die Finger rann.
»Eine Schaufel wäre gut«, sagte ich.
Bernhard knurrte etwas.
»Oder so etwas wie ein Sieb. Wie die Bauarbeiter haben.«
»Habe ich nicht.«
»Da saut man sich ganz schön ein. Eine Scheißarbeit.«
»Von nichts kommt nichts. Und Hände kann man waschen.«
Ich legte meine Tasche auf einer Signallampe ab, von der ich zuvor den verharschten Schnee abgewischt hatte, zog die wollenen Handschuhe aus, steckte sie in die Manteltaschenund schob die Ärmel zurück. Mit dem Schuh stocherte ich unschlüssig in dem Kohlestaub, hob mit zwei Fingern einzelne Stücke auf und legte sie beiseite. Als Bernhard mich ansah, kauerte ich mich hin und begann mit beiden Händen in dem Dreck zu wühlen und ihn wie Bernhard mit den Fingern zu sieben. Ich versuchte dabei, mit Bernhard ins Gespräch zu kommen, er blieb einsilbig.
»Was meinst du, warum hat man die Kohlen hierher geschüttet?«
»Weiß nicht.«
»Um sie umzuladen, muss man sie nicht erst hierher schütten.«
»Hmhm.«
»Wann sind die Kohlen angekommen?«
»Weiß nicht.«
»Der Dreck liegt sicher schon ein paar Tage hier, festgefroren wie er ist.«
»Vorgestern war er noch nicht hier.«
»Na, lange werden die Kohlen hier nicht gelegen haben. Über Nacht sicher nicht, da hätten sie Beine bekommen.«
»Gut möglich.«
»Meinst du denn, dieser Dreck brennt? Wenn du das in den Ofen schüttest, da geht das Feuer aus. Da kommt keine Luft ran.«
»Eine kleine Schaufel zuschütten, dann gehts.«
»Ja, so könnte es funktionieren. Ist wirklich ein Dreck. Kohle kann man das nicht nennen. Ich meine, wir sollten etwas dafür bekommen, dass wir der Bahn hier den Dreck wegmachen. Das macht ja sonst keiner.«
»Hmhm.«
»Hast du schon einen Sack nach Hause gebracht oder ist das dein erster?«
»So viel ist das nicht.«
»Ja, viel ist es nicht. Es kann Stunden dauern, ehe wir damit fertig sind.«
Meine Hände waren jetzt mit einer dicken schwarzen Paste des nasskalten Kohlestaubs verschmiert, und ich fragte mich, warum ich mich überhaupt darauf eingelassen hatte, doch ich konnte jetzt nicht einfach aufhören und mich verabschieden. Jetzt musste ich es durchstehen, zumindest eine Stunde oder eine halbe Stunde sollte ich aushalten, um mich nicht lächerlich zu machen. Warum zum Teufel hatte ich mich überhaupt darauf eingelassen? Zu Hause wartete man auf mich, und wenn ich Stunden zu spät kam und dann aussah wie eine Sau, konnte ich mich sicher auf einiges gefasst machen.
»Hast du keinen Sack bei dir?«, fragte Bernhard.
»Nein. Ich wusste ja nicht, ich kam zufällig hier lang.«
»Wie willst du die Stücke nach Hause schaffen? Hast du nicht irgendetwas bei dir?«
»Was denn?«
Fast hätte ich gesagt, dass ich ihm nur helfen wollte, die Kohlestückchen herauszuklauben, damit er schneller seinen Sack voll bekäme. Im gleichen Moment wurde mir klar, dass ich mich damit bei ihm lächerlich machen würde. Bernhard würde überhaupt nicht verstehen, was ich meine, schließlich waren wir keine Freunde, und er sprach nie mit mir. Wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich die Stücke in seinen Sack legen wollte, er hätte mich nicht verstanden und mir einen Vogel gezeigt. So schwieg ich lieber.
»Ich habe noch einen alten Sack, den kannst du haben. Unten hat er ein Loch. Du musst einen Knoten reinmachen, dann gehts.«
Er stand auf, ging zu seinem Handwagen und warf mir einen zusammengelegten Sack zu. Er hatte mehr als ein Loch, und ich musste vier Knoten reinmachen, wodurch er sehr klein wurde, was mir recht war.
»Bist du denn einverstanden?«, erkundigte ich mich.
»Womit einverstanden?«
»Nun, dass ich hier Kohle einsammle?«
»Ist ja genug da.«
»Ich dachte, weil du zuerst hier warst.«
»Gehört mir ja nicht. Gehört keinem.«
»Wird keiner einen gesteigerten Wert darauf legen, nicht wahr?«
»Hmhm.«
»So ein Dreck ist ja schließlich keine Kohle. Ist bloß Dreck.«
»Hmhm.«
Eine halbe Stunde später band Bernhard seinen Sack zu und machte, ohne einen Ton zu sagen oder sich zu verabschieden, Anstalten, mit dem Handwagen loszuziehen. Mein Sack war nicht einmal halb voll, obwohl er durch die Knoten winzig klein geworden
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