Landnahme
Besitzer von Armeemessern, die sie im Wald gefunden hatten. Einer hatte sogar einen Ehrendolch, ein stehendes Messer mit einem Hakenkreuz oben am Griff. Er sagte, er habe es einer Leiche abgenommen, und erzählte gern und ausführlich, wie der tote Soldat ausgesehen habe. Mit den Messern waren wir eigentlich immerfort beschäftigt, während der Schulstunden, in den Hofpausen, auf dem Schulweg, daheim, zu jeder Tageszeit, wir schnitzten etwas oder kerbten irgendein Holz, machten Messerwerfen oder das gefährliche Messerspitzeln, bei dem man möglichst schnell zwischen den eigenen Fingern hindurchstechen musste, ohne sich zu verletzen. Solange die Bahnbeamten und Rangierer zu sehen waren, blieben wir in einem gehörigen Abstand zu den abgestellten Eisenbahnwaggons, um die Männer nicht misstrauisch zu machen. Wenn sie Feierabend machten und nach Hause gingen, stürzten wir uns auf die verlassenen Waggons und versuchten, die schweren Schiebetüren zu öffnen. Die Eisen- und Holzbohlentüren waren mehrfach gesichert und selbst die unverschlossenen Riegel und Haken ließen sich, angerostet wie sie waren und von vielen Schlägen verbogen, von uns kaum bewegen. Tatsächlich haben wir nie einen der richtig verschlossenen Waggons öffnen können. Wenn wir mit Eisenstangen allzu heftig gegen die großen Riegel und die Metalleinfassungen schlugen, verzogen sich die eisernen Verstrebungen und knallten dröhnend zurück, so dass wir, aus Furcht entdeckt zu werden, es unterließen, weiter daran zu rütteln. Nur in die leeren, offengelassenen Waggons kamen wir hinein, aber diese waren vollkommengeleert, sie wirkten wie ausgefegt, und selten entdeckten wir etwas in ihnen, einen zurückgelassenen Besen, irgendwelche schweren gusseisernen Teile oder einen Putzlappen. Wir haben nie etwas gefunden, das wir gebrauchen konnten, doch selbst den Besen und die Gusseisen nahmen wir mit, schleppten sie eine Zeit lang auf dem Heimweg mit, bevor wir sie gelangweilt und ermüdet irgendwo in einen Straßengraben warfen.
An jenem Januartag stand kein einziger Waggon auf einem der drei Gleise. Die Prellböcke, mit denen zwei Gleisstränge endeten, waren vollständig zugewachsen, zwischen den blattlosen Zweigen waren der kleine Aufbau von Holzschwellen und die eisernen Puffer kaum zu erkennen, zumal alter, verharschter Schnee sie bedeckte. Ich war über die Schrebergartenstraße gelaufen, um einen Blick auf das Rangiergelände zu werfen, bevor ich in der beginnenden Dämmerung nach Hause lief. Schon von der Gartenanlage aus hatte ich gesehen, dass kein Waggon vorhanden war. Ich sah auch, dass jemand über die Gleise lief, und ging darum näher heran. Es war Bernhard, er hatte den kleinen Leiterwagen mit den blechbeschlagenen Holzrädern bei sich, den früher sein Hund Tinz ziehen musste, suchte irgendetwas zusammen und sammelte es in einen Sack, der auf seinem Wagen stand.
Ich grüßte ihn, als ich bis auf wenige Schritte herangekommen war. Er sah kurz auf, nickte und sammelte weiter die kleinen Kohlestückchen in den alten Kartoffelsack. Es waren kleine, sehr kleine Kohlestücke, sie waren winzig. Eigentlich war es Abfall, was Bernhard da einsammelte, Kohlesplitter, die in dem glitzernden schwarzen Grus steckten und die durch die Zinken der Kohlegabeln gefallen waren. Bernhard fasste mit beiden Händen in den Grus, schüttelte die Hände vorsichtig und ließ den Kohlestaub durch die Finger auf den Boden rieseln, um diese kleinen Stücke herauszufischen und in seinen Sack zu werfen. Fasthätte ich Bernhard gefragt, was er denn mit diesem Dreck anfangen wolle, denn damit könne man keinen Ofen heizen, das Zeug ersticke die Flammen, statt zu brennen. Bei unserer letzten Kohlelieferung lag zum Schluss, nachdem wir mit Vaters Lehrling die Kohlen in den Keller gebracht hatten, ein ganzer Berg von diesem Grus vor unserem Kellerfenster, mindestens zwei Zentner, wie Vater meinte, und er musste zweimal mit dem Händler sprechen, bis dieser den liegengebliebenen Dreckhaufen abfuhr und zwei Säcke mit brauchbaren Kohlen anliefern ließ.
Der Grusberg zog sich über eine Länge von fünfzig Metern neben dem Gleis entlang. Ich sah Bernhard zu, trat auf der Stelle, um mich zu erwärmen, und wusste nicht, was ich machen sollte. Einfach weiterzugehen schien mir irgendwie unangebracht, denn ich hatte gesehen, wie er in dem Dreck herumwühlte, und er würde sicher denken, dass ich auf dem Schulhof darüber erzählen könnte. Also blieb ich unschlüssig stehen und
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