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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Gefühl gehabt, wir seien ein uraltes Ehepaar. Ich habe es ihm gesagt, dass unsere Beziehung nicht sehr aufregend sei und ich gern ein bisschen mehr Spaß hätte, denn schließlich sei ich nicht vierzig oder achtzig. Er hat genickt, als ob er mich verstehe, und dann gesagt, er müsse seinem Vater helfen.
    Im Sommer nach dem ersten Lehrjahr fuhren wir zwei Wochen zelten. Natürlich nicht wir zwei allein, das hätten meine Eltern nie erlaubt, und seine sicher auch nicht. Ich fuhr mit Sylvie, die früher in die Parallelklasse ging und jetzt eine Lehre als Sekretärin und Sachbearbeiterin beim Rat der Stadt machte. Sie war keine Freundin von mir, war sie nie gewesen, jedenfalls keine richtige, sie war eine Bekannte, und dass ich mit ihr in den Urlaub fuhr, war ein Zufall und weil Caroline mit ihren Eltern einen Urlaubsplatz an der Ostsee bekommen hatte.
    Ich hatte Sylvie auf einem Geburtstag getroffen, wir waren ins Gespräch gekommen, und da es ihr wie mir ging, hatten wir uns verabredet, zu viert zelten zu fahren. Wir konnten beide unseren Eltern erzählen, dass wir mit einem Mädchen zelten, und die Jungen, Bernhard und Sylvies Freund Norbert, konnten eine gleichartige Geschichte daheim präsentieren. Wir hatten uns für den Süßen See entschieden, weil irgendjemand gesagt hatte, der Zeltplatz sei nicht teurer als die anderen, jedoch viel, viel besser, das Wasser sei in Ordnung und man könne dort jede Menge Spaß haben. Mit den Rädern müssten wir die Strecke in fünf Stunden spielend schaffen, und so stimmte ich zu. Bernhard machte ohnehin das, was ich ihm sagte, jedenfalls glaubte ich das und meistens lief es so ab.
    Schon die Hinfahrt war eine Katastrophe und hätte mich misstrauisch machen sollen. Statt fünf Stunden waren wir neun Stunden unterwegs, immerzu hatte irgendeiner eine Panne mit seinem Rad, und einmal fiel ein Zeltsack genauvor das Vorderrad von Norbert, so dass er darüber stürzte und wir ihm Pflaster aufkleben mussten. Die Jungen blieben auf der Fahrt ruhig, Sylvie und ich schimpften wie die Rohrspatzen, und als wir endlich in der Abenddämmerung den Zeltplatz erreichten und die Gebühren bezahlt hatten, ließen wir uns von den Jungen unser Zelt aufbauen und gingen schlafen, ohne auch nur danke zu sagen. Statt eines Abendbrots aßen wir eine Art von Schokolade, eine eklig süße Tafel, die Sylvie im Gepäck hatte und bei der man nach wenigen Bissen satt war. Als wir endlich in den Schlafsäcken lagen und zuhörten, wie die Jungen nebenan im Dunklen das zweite Zelt aufbauten und leise fluchten, flüsterte Sylvie: »Eins kann ich dir sagen, ich werde froh sein, wenn ich das hier hinter mir habe und daheim in meinem Bett liege.«
    »Das kannst du dir in dein Gebetbuch eintragen. Und in meins dazu«, sagte ich.
    Plötzlich schraken wir hoch und saßen beide in unseren Schlafsäcken. Direkt neben unserem Zelt war ein Motorrad angetreten worden, dann brüllte jemand, ein Hund bellte, und schließlich hörte man auf dem ganzen Zeltplatz Leute schimpfen.
    Sylvie stöhnte laut auf, und ich sagte: »Es war deine Idee, hierher zu fahren.«
    »Was denn? Wolltest du im Urlaub zu Hause bleiben? Wäre keine gute Idee.«
    »Wer sagt denn das? Sich totstrampeln müssen, um schließlich an einem gottverlassenen Platz zu landen, auf dem die ganze Nacht über Halbstarke herumlärmen, das stelle ich mir nicht unter Urlaub vor. Das ist kein Urlaub, jedenfalls nicht für mich und meiner Mutter Tochter.«
    »Warten wir ab. Vielleicht wird es gar nicht so schlecht. Ich meine, es ist ja erst der erste Tag. – Wie ist denn dein Bernhard? Viel reden ist nicht seine Stärke, wie?«
    »Ums Wort kämpfen muss ich bei ihm nicht.«
    »Vielleicht nicht schlecht. Und sonst?«
    »Was meinst du?«
    »Naja, wie ist er ansonsten? Sehr stürmisch oder muss man ihn erst auf Trab bringen?«
    »Er ist eben ruhig.«
    »Ein stilles Wasser, wie? Da pass auf, die sind manchmal tief und man kann reinfallen. Tief reinfallen, wenn du verstehst.«
    »Ich pass schon auf. Bin nicht von gestern. – Und deiner? Wie ist Norbert?«
    »Der grapscht am liebsten. Immerzu ist er mit seinen Händen zugange. Bei dem muss ich mir ganz genau überlegen, was ich anziehe. Wenn irgendwo ein Stück Fleisch herausschaut, ist er sofort mit seinen Fingern dran. – Ist deiner auch so?«
    »Hmhm.«
    »Auch so aufgeregt immer? Meine Mutter sagt, so was kommt, wenn die Jungen zu viel Fleisch essen. In dem Alter sollten sie nur Gemüse bekommen. Doch bei Norbert würde

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