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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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obendrauf, und holte mein Rad aus dem Schuppen.
    Bernhard hatte gesagt, wir würden eine Radpartie machen. Dass es nach Spora ging und zu seinem Lehrmeister, erfuhr ich unterwegs, aber das war mir gleichgültig. Und warum ich unbedingt dabei sein sollte, wenn er Herrn Mostler sein Zeugnis zeigte, begriff ich erst hinterher. Vor der Tür der Tischlerei in Spora wollte ich auf ihn warten, er nahm mich an der Hand und sagte, ich solle mitkommen. Bevor er das Zeugnis aus der Tasche holte, stellte er mich Herrn Mostler und den beiden Gesellen vor. Bernhard wollte dem Meister und seinen künftigen Kollegen zeigen, dass er eine Freundin hatte. Ich war wie sein Zeugnis eine Trophäe, die er vorweisen wollte, ein Ausweis seiner Männlichkeit. Damals war ich stolz darauf, stolz auf ihn und stolz, dass er sich zu mir bekannte. Die Männer haben irgendetwas Freches gesagt, das ich nur zur Hälfte verstand, ich ahnte, was es bedeuten sollte, und lachte laut auf. Herr Mostler ging mit uns in den Schuppen neben der Werkstatt,wo die Bretter und Balken aufgestapelt waren, und Bernhard musste sagen, von welchen Bäumen das dort zum Trocknen gelagerte Holz stammt. Er konnte fast alles richtig beantworten, obwohl man lediglich ein paar geschnittene Holzbretter sah und von einigen nur eine schmale Kante.
    »Gut, mein Junge. Da hast das Auge eines Tischlers. Wenn du dich anstrengst, dann kann aus dir etwas werden, dann können wir dein Zeugnis vergessen. Wir sehen uns im September, am ersten, um sieben Uhr. Und nicht verschlafen, Junge, sonst bekommst du mit mir Ärger.«
    Zum Abschied schenkte mir der Chef ein gedrechseltes Tischbein, das im Abfall lag, weil es gerissen und nicht mehr zu brauchen war. Ich hatte es aus der Kiste mit den Sägespänen und den Holzresten herausgenommen.
    »Das ist wunderbar. Warum werfen Sie es weg?«
    »Was heißt wunderbar? Das ist Dreck. Die Arbeit war umsonst. Ich war fast fertig, da reißt es, siehst du hier, quer durch die Maserung.«
    »Es ist trotzdem schön. Das muss man nicht wegschmeißen.«
    »Wer will das haben! Das kann ich keinem anbieten. Willst du es mitnehmen, Kleine?«
    »Umsonst?«
    »Natürlich. Ich schenke es dir. Weil du Bernhards Mädel bist.«
    »Danke.«
    »Und was willst du damit anfangen?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht nehme ich es als Kerzenhalter.«
    »Mach das. Wenn ihr zwei dann bei Kerzenschein zugange seid, dürft ihr mich nicht für die Folgen haftbar machen, verstanden?«
    Bernhard wurde rot, und die Gesellen lachten laut. Ich sah Herrn Mostler ins Gesicht und erwiderte: »Da würden Sie wohl gern dabei sein?«
    »Ganz schön frech, deine Kleine«, sagte er zu Bernhard und sah mich dabei an, »pass auf, dass du bei der nicht unter den Pantoffel kommst.«
    Als wir zurückradelten, das gedrechselte Stück Holz hatte Bernhard auf seinen Gepäckträger geklemmt, sagte Bernhard lange nichts, obwohl wir nebeneinander fuhren. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus.
    »Warum freust du dich so?«
    »Nur so.«
    »Red schon.«
    »Jetzt habe ich es geschafft«, sagte er. Er griff unter meinen Sattel und schob mich.
    »Und was hast du geschafft? Darf man das erfahren?«, fragte ich, da er nichts weiter sagen wollte.
    »Ich habe die Schule bestanden, ich habe eine gute Arbeit, und jetzt werde ich es allen zeigen.«
    Ich warf einen kurzen Blick zu ihm. Er hielt wie immer den Kopf gesenkt, ich konnte erkennen, dass er glücklich war. Er strahlte so wie damals, als ich ihn küsste.
    Im ersten Lehrjahr trafen wir uns selten. Bernhard kam an den Wochentagen erst spät aus Spora zurück, und an den Wochenenden musste er seinem Vater helfen, der jede Woche etwas für ihn zu tun hatte. Etwas musste bei ihm immer bis zum Wochenende liegen bleiben, weil er nur einen Arm besaß. Bernhard sollte die Tischlerei seines Vaters übernehmen, sobald er die Lehre beendet und seinen Meister gemacht hätte, und so war er gezwungen, schon jetzt beim Vater mitzuarbeiten, selbst in seiner Freizeit. Einige Male ging ich in ihre Werkstatt und sah ihnen zu, dann konnte ich mich anschließend daheim im Badezimmer völlig ausziehen und musste jedes Wäschestück gründlich ausschütteln, überall hatten sich winzige Holzspäne festgesetzt, und selbst wenn ich gerade erst die Haare gewaschen hatte, konnte ich sie danach wieder unter die Dusche halten. Zeit hatte Bernhard für mich kaum noch. Es fehlte bloßnoch, dass ich mit dem Essen in einem Henkeltopf zu ihm gegangen wäre, dann hätte ich endgültig das

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