Landnahme
Zweige darüber, aber wenn hier einer entlangkam, würde er den Motor natürlich sehen. Bernhard wollte ihn in der Nacht nach Hause schaffen. Zusammen liefen wir einen großen Umweg über die Schrebergartenstraße und kamen dann von der Bahnhofstraße her in die Stadt zurück. Vor der Post standen zwei Polizisten, die wir nicht kannten. Vorsichtshalber wechselten wir den Bürgersteig. Sie riefen uns und verlangten, dass wir zu ihnen kommen. Sie wollten wissen, was ich unter der Jacke habe. Ich zog die Lötlampe hervor und hielt sie ihnen vor. Einer der beiden fragte, was das sei und wozu ich das mit mir herumschleppe. Ich erklärte ihm, dass ich dabei sei, einen Karnickelstall zu bauen. Dann wollte er sehen, was ich in den Taschen habe, und ich musste alles auspacken und auf den Bürgersteig legen. Während ich Stück für Stück die Werkzeuge aus meiner Tasche hervorholte und auf den Bürgersteig legte, sah ich zu Bernhard. Er schien völlig ruhig zu sein und sah scheinbar teilnahmslos zu den Polizisten.Als sie ihn aufforderten, seine Taschen zu leeren, zeigte er ihnen gelangweilt, dass er nichts bei sich habe.
»Und wo hast du das geklaut?« fragte mich der Polizist, der direkt vor mir stand und mit der Schuhspitze in dem Werkzeug herumstocherte.
»Das gehört alles meinem Vater. Das habe ich für den Karnickelstall gebraucht.«
«Und wieso hattest du alles versteckt, wenn du es nicht geklaut hast?«
»Irgendwie muss ich es ja transportieren.«
Der Polizist warf einen Blick zu seinem Kollegen, der abfällig mit der Hand winkte.
»Also, verschwindet. Und ich gebe euch den guten Rat, lasst euch heute nicht mehr auf der Straße blicken. Wenn ich euch noch einmal aufgreife, nehme ich euch mit. Ist das klar?«
Ich nickte und packte das Werkzeug in die Taschen und steckte die Lötlampe wieder unter die Jacke. Die Polizisten beachteten uns nicht, und wir gingen rasch weiter.
»Wenn einer der Bauarbeiter vorbeigekommen wäre und das gesehen hätte«, sagte Bernhard nur.
»Ja«, sagte ich, »das wärs dann gewesen. Und wenn du deinen blöden Motor mitgeschleppt hättest, Gott im Himmel.«
»Da ist schon wieder ein Polizist. Was ist denn heute los?«
»Komm, wir gehen den Graben entlang und an der alten Gasanstalt vorbei.«
»Ich habe nichts bei mir. Mir kann keiner etwas.«
»Ja, komm schon.«
Irgendetwas war in der Stadt los, es waren Polizisten da, die ich noch nie gesehen hatte, und auch die Leute bewegten sich anders, unruhiger als sonst, sie liefen nicht wie sonst durch die Stadt, sondern hatten es eilig und beachteten uns nicht, was mir recht war. Ich war heilfroh, dass ich nichtnochmals angehalten wurde, denn inzwischen bereute ich es, dass wir das Zeug mitgenommen hatten. Richtig gebrauchen konnte ich es eigentlich nicht, und wenn Vater es entdeckte, würde ich ein paar Fragen gestellt bekommen, auf die ich keine Antwort wusste, jedenfalls keine, die ihn zufrieden gestellt hätte. An der Brunnenstraße trennten wir uns.
Bei mir daheim war niemand. Ich brachte das Werkzeug in mein Zimmer und versteckte es im Schrank. Dann lief ich in die Stadt. Auf dem Weg dorthin spürte ich wiederum die eigenartige Stimmung. Als würde der Motor der Stadt vibrieren und sich langsam in Bewegung setzen. Irgendetwas war anders, die Leute liefen anders, sie redeten anders, und ich hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Alle bewegten sich in Richtung Markt, und so lief ich einfach mit ihnen mit. In der Kirchstraße traf ich drei Jungen aus meiner Klasse. Ich fragte sie, was denn los sei, und sie sagten, es würde gestreikt, kein Mensch arbeite, und auf dem Markt stünden alle beisammen.
»Und die Polizei?«, fragte ich.
»Auf dem Markt ist von denen nichts zu sehen. Und das Rathaus ist verschlossen. Ein paar haben versucht hineinzukommen. Die große Tür ist regelrecht verrammelt. Entweder sind die abgehauen, oder sie haben sich verbarrikadiert.«
»Streik? Das ist verboten.«
»Ja. Es streiken auch nur die von der Maschinenfabrik und die von außerhalb, die vom Brückenbau. Die anderen stehen alle bloß herum und gucken zu.«
»Und warum geht ihr?«
»Ich habe mir das lange genug angeschaut, drei Stunden lang. Jetzt verschwinde ich. Auf dem Markt passiert nichts weiter, und ich habe mehr zu tun als herumzustehen.«
»Ist ja toll, ein Streik. Ich hätte nie geglaubt, dass in unserem kleinen Drecksnest mal gestreikt wird.«
»Naja, eine Überraschung ist es, aber ziemlich langweilig. Ich geh. Also, bis
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